(M)ein Luther-Wort ins Stammbuch

Reformatorische Fragen an den katholischen Weihbischof Thomas Maria Renz (Bistum Rottenburg-Stuttgart)

Herr Weihbischof Renz, haben Sie eigene Berührungspunkte zu Martin Luther?

Meine Beziehungen beruhen vor allem auf vielen Kontakten, die ich aus meinen 13 Jahren als Pfarrer zu evangelischen Kollegen hatte. Da sind Freundschaften entstanden, die bis heute bestehen. Man hat sich selbstverständlich getroffen, auf dem Fußballplatz, zum theologischen Diskutieren, zu ökumenischen Gottesdiensten oder Kinderbibeltagen. Dieses geschwisterliche Miteinander gehört zu meinen schönsten Erfahrungen im Pfarrdienst. Das Selbstverständliche des Umgangs zwischen Evangelischen und Katholischen gehört zu meiner Biografie.

Und sagen Sie als katholischer Christ: Luther war sicher ein frommer Mann, der sich unschätzbare Dienste erworben hat – aber er hat eben auch für die Spaltung der Kirche gesorgt? 

Das Reformationsgedenken ist für uns Katholiken eine zwiespältige Sache. Die guten Impulse, die von Martin Luther ausgegangen sind, hat die katholische Kirche dann ja im Lauf der Jahrhunderte auch aufgegriffen. Ich glaube, wenn Luther das 2. Vatikanische Konzil 1962 bis 1965 miterlebt hätte, hätte er manches gelassener beurteilen können. Aber so ist das Reformationsjahr immer auch mit der Spaltung der Kirche verbunden.

Die Tragik des 16. Jahrhunderts war, dass man sich gegenseitig verurteilt hat. Heute würde Martin Luther, wenn er Papst Franziskus begegnete, sicher nicht von dem „Antichristen“ sprechen. Umgekehrt würden Katholiken Luther heute als wichtigen Impulsgeber für eine Erneuerung der Kirche sehen. Den reformatorischen Grundsatz „ecclesia semper reformanda“, die Kirche muss sich immer wieder erneuern, können Katholiken ja genauso unterschreiben.

Welche reformatorischen Impulse sind denn heute nötig – für Menschen und Kirche? 

Die Reformation weist darauf hin, dass wir uns immer wieder ins Zentrum führen lassen müssen: zu Jesus Christus. Besonders wichtig ist, dass wir uns in der Ökumene zwischen evangelischer und katholischer Kirche in den letzten Jahren Gott sei Dank besonnen haben auf die gemeinsamen Grundlagen unseres Glaubens; auf fünf zentrale Glaubensaussagen: Erstens wir bekennen einen dreifaltigen Gott, als Vater, Sohn und Heiligen Geist, wie er in der Bibel bezeugt ist. Zweitens Jesus 

Christus ist der Erlöser für diese Welt. Drittens die Taufe als Grundlage unseres Christseins, die gegenseitig voll anerkannt ist. Viertens die Heilige Schrift. Und fünftens die gemeinsame Sendung. Jesus sagt seinen Jüngern: Geht hinaus und verkündet das Evangelium allen Menschen! Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe! Wir sind kein frommer Klub, sondern sollen nach außen wirken. Dies gilt über Konfessionsgrenzen hinweg allen, die an Christus glauben.

Die Gesellschaft fragt heute nicht: Was sagen die Katholiken zu dem Thema, was meinen die Evangelischen oder Orthodoxen? Sondern sie will wissen: Wie positionieren sich die Christen? Wir müssen mehr mit einer Stimme sprechen, in wichtigen Fragen wie der nach einer gerechten Welt, nach dem angemessenen Umgang mit der Schöpfung, mit Flüchtlingen, mit der Angst vor Fremdem oder Fremdenhass. Wir sollen dem Leben dienen, sagt Jesus. Wir haben die große gemeinsame Aufgabe, Zeugnis zu geben von dem Gott, der auf unserer Seite steht, sich das Leid dieser Welt zu eigen macht – und es an Ostern überwindet. Damit Menschen die Liebe Gottes erfahren.

Ein Wort ins Stammbuch: Was wollten Sie evangelischen Christen immer schon mal sagen?

(lacht) Als Martin Luther gestorben war, hat man seine letzten handschriftlichen Worte auf einem Zettel gefunden. Sie lauteten: „Es ist doch wahr: Wir sind nur Bettler.“ Das gilt für alle. Egal wer wir sind – vor Gott sind alle nur Bettler. Das fasziniert mich. Wir verdanken unseren Glauben der Großzügigkeit Gottes. Deshalb würde ich evangelischen Christen gern das Wort des Propheten Nehemia sagen, Kapitel 8,10: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ Wir werden immer wieder mal in eine Defensivhaltung gedrängt: Ihr Christen habt doch keinen Einfluss mehr in der Gesellschaft! Ihr werdet immer mehr zur Minderheit! – Wir brauchen uns aber nicht in die Defensive drängen zu lassen! Wenn wir die Freude am Herrn ausstrahlen, dankbar und glücklich, dass Gott uns als seine geliebten Kinder berufen und das in der Taufe bestätigt hat, dann können wir mit großem Gottvertrauen gemeinsam von unserem Glauben Zeugnis geben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Jörg Podworny