Biblische Basis: Fragen stellen (erlaubt)

Die Welt kommt immer mehr ins Fragen.

Eigentlich gute Voraussetzungen, um in den Dialog zu treten. Und selbst richtige Fragen zu stellen...

Haben Sie sich heute schon mit ihrem „Personal Assistant“ unterhalten? Siri von Apple weiß Rat, Alexa von Amazon hilft weiter! Doch wenn es um die existenziellen Fragen des Lebens geht, kommt auch künstliche Intelligenz schnell an ihre Grenzen: „Alexa, was ist der Sinn des Leben?“ – „42, aber vergiss dein Handtuch nicht!“ „Siri, glaubst du an Gott?“ – „Das frage ich mich auch oft.“ „An was glaubst du, Siri?“ – „Ganz im Sinne von Descartes: Ich denke, also bin ich!“ „Siri, existierst du denn?“ – „Ich verarbeite, also bin ich!“ „Lebst du denn auch, Siri?“ – „Einen Moment, ich suche im iTunes-Store nach „denn auch“.“ Fragen gehört zum Menschsein. Mit Fragen erobern Kinder die Welt. Mit Fragen finden Erwachsene Lösungen. Mit Fragen treten wir in Beziehungen, lernen wir, stillen wir unsere Neugier. Mit Fragen führen wir und verführen wir Menschen. Mit Fragen hinterfragen wir, bringen wir Dinge ans Licht. Mit Fragen stoßen wir an unsere Grenzen. Mit Fragen nähern wir uns Gott oder entfernen uns von ihm. Mit Anfragen an unser Leben begegnet uns Gott, um uns in Christus die Antwort zu geben. Je mehr sich die Gesellschaft verändert, desto mehr nehmen die Fragezeichen in uns zu. Je schneller die globale Welt unser Mitdenken, Nachdenken und Umdenken fordert, je komplexer die Probleme sind, desto mehr fehlen uns die Antworten. Unsere hypermoderne Welt steht vor enormen Herausforderungen. Der einzelne Mensch mit seiner zerbrechlichen Identität, auf sich selbst zurückgeworfen, ist ständig auf der Suche nach sich selbst. Die Glücksversprechen des Marktes stillen seine innere Leere nicht. „Was können wir wissen, was sollen wir tun, was dürfen wir hoffen?“, fragte einst Kant. Postmodern formuliert der Bestseller-Autor Richard David Precht die Frage: „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“ Unbegrenzt – und ratlos Die Gesellschaft, mit ihren scheinbar unbegrenzten Informationen, aber auch immensen Problemen, ist längst sehr ratlos geworden. Wir befinden uns im Dauerfragemodus. Wir fliegen auf Sicht im Nebel. Oft tun wir so, als hätten wir die Antworten. Unser Leben ist paradox und widersprüchlich. Wir haben sehr viel Wissen, aber wenig Weisheit. All das macht uns unsicher aber auch vermessen. „Kluge Fragen sind die halbe Weisheit“, sagte der englische Philosoph Bacon. Doch wo finden wir echte Antworten? Der Soziologe Gilles Lipovetzky sieht die Religionen neu gefragt: „Im hypermodernen Universum gibt es ein zunehmendes Bedürfnis nach Einheit und Sinn, ebenso wie nach Sicherheit und gemeinsamer Identität.“ Während Populisten und Fundamentalisten diese Sehnsucht mit radikalen Antworten und klaren Feindbildern bedienen wollen, haben die christlichen Gemeinden die Verantwortung, die Botschaft der Weisheit und Liebe Gottes, die in Christus Mensch geworden ist, zu vermitteln. In einer gleichzeitig multireligiösen wie gottfernen Welt können sie dem Evangelium neu eine Stimme und Gestalt geben. Die Zeit ist reif dafür. Auch die Bibel steckt von Anfang an voller Fragen. Und das nicht nur, weil sie manchmal schwierig zu verstehen ist.
„Sollte Gott gesagt haben?“, führt die Schlange Eva in Versuchung. „Wo bist du Adam?“, ruft Gott die Menschen zur Verantwortung. „Wo ist dein Bruder?“, wird der Brudermörder Kain zur Rechenschaft gezogen. „Was ist dein Name?“, will Mose in der Wüste von Gott wissen. Später hinterfragen die Propheten das Handeln des Volkes Gottes, kritisieren die herrschende Ungerechtigkeit. Sie befragen Gott, und rufen zurück zu seinem Gesetz, während falsche Propheten dem Volk nach dem Munde reden. Gott fordert die Menschen auf, nach ihm zu fragen, aber sie tun es nicht. „Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt“, lesen wir im Römerbrief. Gottes Schalom in Wort und Tat verbreiten Und Jesus, Gottes Antwort auf die Verlorenheit der Menschheit, hinterfragt unser ganzes Leben, um es dann von Grund auf neu gemacht in unserer Verantwortung zurückzugeben. Wir sollen jederzeit bereit sein, Rede und Antwort zu stehen, wenn Menschen nach der Ursache unserer Hoffnung fragen, sagt die Bibel. Und noch mehr: Wir sind gesandt, wie Jesus gesandt war, um Gottes Schalom in Wort und Tat in der Welt zu verbreiten. Einer dieser erneuerten und gesandten Menschen war Philippus. Er fragte nach Gott. Er ging, wohin er gehen sollte. Und er lernte zuzuhören, bevor er handelte. Im Neuen Testament ist uns die berühmte Episode von ihm und dem äthiopischen Finanzminister überliefert (Apg 8,26 ff.): Philippus aber bekam von einem Engel des Herrn folgenden Auftrag: „Mach dich auf den Weg in Richtung Süden! Benutze die einsame Wüstenstraße, die von Jerusalem nach Gaza hinunterführt.“ Philippus machte sich auf den Weg; und als er diese Straße entlangging, kam dort in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren, ein Eunuch. Es handelte sich um einen hohen Würdenträger, den Finanzminister der Kandake, der äthiopischen Königin. Der Mann war in Jerusalem gewesen, um ‚den Gott Israels‘ anzubeten, und befand sich jetzt auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja. Der ‚Heilige‘ Geist sagte zu Philippus: „Geh zu dem Wagen dort und halte dich dicht neben ihm!“ Philippus lief hin, und als er neben dem Wagen herging, hörte er den Mann laut aus dem Buch des Propheten Jesaja lesen. „Verstehst du denn, was du da liest?“, fragte er ihn. „Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“, erwiderte der Mann. Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Abschnitt der Schrift, den er eben gelesen hatte, lautete: „Man hat ihn weggeführt wie ein Schaf, das geschlachtet werden soll. Und wie ein Lamm beim Scheren keinen Laut von sich gibt, so kam auch über seine Lippen kein Laut ‚der Klage‘. Er wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen von ihm berichten können, denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen.“ Der Äthiopier wandte sich an Philippus: „Bitte sag mir, von wem ist hier die Rede? Spricht der Prophet von sich selbst, oder
spricht er von jemand anders?“ Da ergriff Philippus die Gelegenheit und erklärte ihm, von dieser Schriftstelle ausgehend, das Evangelium von Jesus. Als sie nun, ‚ins Gespräch vertieft‘, die Straße entlangfuhren, kamen sie an einer Wasserstelle vorbei. „Hier ist Wasser!“, rief der Äthiopier. „Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?“ Und er befahl, den Wagen anzuhalten. Beide, Philippus und der Äthiopier, stiegen ins Wasser, und Philippus taufte den Mann. Ein biblischer Text der viele Fragen enthält. Und ein Text, der uns ins Fragen bringen kann: Fragen nach Gott als Voraussetzung: Philippus war einer der sieben Diakone, die ausgewählt wurden für die Armenversorgung in der Jerusalem Urgemeinde. Er fragte nach den Nöten seiner Mitmenschen. Und er fragte nach Gott. Kurz darauf, als die Verfolgung der Gemeinde begann, zog er nach Samaria und verkündete dort das Evangelium. Philippus’ Herz war offen für das Reden Gottes. Es stand auf Empfang, in unsicheren Zeiten. Mit einer suchenden, fragenden Haltung nach Gottes Willen war er ansprechbar für den Geist Gottes. Er ließ sich gebrauchen. – Eine Haltung, die auch heute nötig ist. Fragen als Mittel zum missionarischen Dialog: Philippus lässt sich auf seine Mitmenschen ein. Er handelt situativ, sensibel und christuszentriert. Erst einmal geht er eine Strecke mit dem Finanzminister und hört zu. Er versucht die Situation zu begreifen und die Gelegenheit zu ergreifen. Er steigt mit einer Frage ins Gespräch mit dem Politiker ein. Eine Frage, die am Bedürfnis seines Gegenübers anknüpft und gleichzeitig schon den Weg zur Lösung öffnet: „Verstehst du denn auch, was du liest?“ Philippus bringt ins Nachdenken. Und fordert zur weiteren Auseinandersetzung mit der Bibel heraus. Fragen ernstnehmen im missionarischen Dialog: Der Finanzminister seinerseits reagiert – es klingt schon fast verzweifelt – mit einer Gegenfrage: „Wie soll ich es denn verstehen, wenn es mir keiner erklärt?“ Philippus geht auf diese Frage ein und stellt sich der Bitte, ihn – diesen einflussreichen Mann aus Äthiopien – zu begleiten. Er ist offen für die Fragen seines Gegenübers, macht diesen Fremden zu seiner Aufgabe, unabhängig von sozialem Stand und kulturellen Unterschieden. Er vertraut auf die Kraft des Evangeliums und die Offenbarung Gottes. Und er gibt klare Antworten. Fragen nach Christus in biblischen Texten: Philippus legt den Text des Propheten Jesaja im Blick auf Christus aus. Das entspricht dem Text, ist aber nicht sofort offensichtlich. Jesaja hat Jahrhunderte von Jesu Geburt gelebt. Er prangerte soziale Missstände und Götzendienst an, thematisierte große gesellschaftliche und politische Fragen, drohte Gericht über Juda, Israel und andere Völker an, verhieß aber auch die Wende zum Heil. Mit dem Zitat des Äthiopiers aus Jesaja 53 sind wir mitten in der Beschreibung vom leidenden Gottesknecht, der dieses Heil bringen würde. „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen“, lesen wir in den Versen zuvor im Original. „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten“. Christus ist unser Friede, Gottes Schalom, und wir verkünden sein Evangelium des Schalom (vgl. Eph 6,15). Fragen nach Schalom als Konsequenz: In einem Staatsmann wie dem äthiopischen Finanzminister muss das „Evangelium nach Jesaja“ deshalb viele Saiten zum Klingen gebracht haben. Seine Sehnsucht nach Erlösung und sein Fragen nach individuellen Heil mündeten in der Taufe. Aber wir dürfen annehmen, dass der Finanzminister auch gestärkt und heilsam verunsichert für seine gesellschaftlichen Aufgaben zurück in sein Heimatland reiste. Auch hier lässt sich Jesaja befragen und hinterfragt uns: Schalom meint immer das umfassende Heil Gottes, wie wir es vollendet in der neuen Schöpfung am Ende aller Zeiten erleben werden. Es fordert uns schon hier und heute zum Handeln auf, und zum Vertrauen, dass Gott zeichenhaft und vorläufig etwas in unserem Umfeld zum Besseren verändern will. Wir sind gemeinsam mit vielen anderen Menschen auf der Suche – nach Antworten für das komplexe Leben in dieser Zeit. Wir tun gut daran, Gottes Weisheit dabei an die erste Stelle zu setzen. Sie beginnt mit der Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott, wie er uns in Christus begegnet ist. Mit einem neuen Fragen nach ihm. Denn Christus ist die Antwort, die wir und die Welt brauchen – das ist keine Frage.

Zum Autor

Dr. Rainer Schacke ist urbaner Theologe. Er leitet das Studienprogramm Urbane Mission am Theologischen Seminar Rheinland und das Berliner Institut für urbane Transformation (www.stadtinsitut.de).