Arabische Christen im Mittleren Osten

Wie Jesus seine Gemeinde in der arabischen Welt baut

Ich stehe in einer Kirche in einer arabischen Großstadt; mit 200 Menschen feiern wir Gottesdienst, preisen den Herrn von ganzem Herzen. Vor mir sehe ich etliche Syrer und Iraki; sie waren als Flüchtlinge in unsere Stadt gekommen und haben hier Jesus kennengelernt. Szenenwechsel: In einer anderen arabischen Großstadt bin ich verabredet mit einer Gruppe von Pastoren. Sie gehören zu verschiedenen Gemeindeverbänden und treffen sich wöchentlich, um gemeinsam Gottes Wort zu studieren. Heute stelle ich ihnen ein neues Kursmaterial vor. Begierig saugen sie alles auf, ich erlebe wunderbare Gemeinschaft. Alle berichten von Menschen, die in ihrer Gemeinde kürzlich zum Glauben an Jesus gekommen sind … Jesus baut heute seine Gemeinde in der arabischen Welt – und ich darf Augenzeuge sein!

Wiege des Christentums
Mit arabischer Welt bezeichnen wir den Sprachraum von Marokko bis Oman, Irak im Norden bis Sudan im Süden. Hier leben 380 Million Menschen, viele Völker, nicht alle haben Arabisch als Muttersprache. In den ersten Jahrhunderten nach Christus lag hier die Wiege des Christentums. Von hier wurde das Evangelium in alle Welt getragen. Erst nach den islamischen Eroberungen im 7. Jahrhundert wurde sie nach und nach islamisch und arabisch geprägt. Deshalb sollten wir eher von „arabisierten“ Völkern sprechen (die Araber waren zunächst auf die arabische Halbinsel konzentriert). Unter ihnen finden wir christliche Minderheiten, vor allem in dem Streifen vom Irak bis zum Sudan, während in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel einheimische Christen nicht anerkannt sind. Die christlichen Minderheiten identifizieren sich sprachlich und kulturell mit ihren alten Vorfahren (z.B. chaldäische Christen in Irak, koptische Christen in Ägypten, maronitische Christen im Libanon). Durch sprachliche und kulturelle Besonderheiten haben sie dem Druck der Islamisierung und Arabisierung standgehalten.

Internationale Gemeinde
Mit „Gemeinde Jesu Christi“ meinen wir nicht das traditionelle, kulturelle Christentum, sondern die (un-)sichtbare Schar derer, die ihr Leben bewusst unter die Herrschaft Christi stellen. Dabei müssen wir zwischen solchen von christlichem und muslimischem Hintergrund unterscheiden. Ihr Glaube ist gleich, doch unterscheidet sich ihr Weg zu Jesus und ihre Beziehung zur Gesellschaft. Für viele Nachfolger Jesu aus christlichem Hintergrund war die Entdeckung der Bibel entscheidend. Dadurch wurde ihre lehrmäßige und liturgische Tradition nicht falsch; viele nennen die Entdeckung des Evangeliums durch die Heilige Schrift eine „Vervollständigung“ ihres Glaubens und unterscheiden zwischen „biblischem“ und „liturgischem“ Christentum.

 

Bei Christus-Gläubigen aus muslimischem Hintergrund ist das anders. „Buch-orientierte“ Muslime hatten bereits einen Sinn für Gerechtigkeit und Gottesfurcht; oft diente ein konkreter Anlass, um „über den eigenen Tellerrand“ hinaus zu schauen. Etwa ein Studienaufenthalt im Westen, die persönliche Bekanntschaft mit einem Christusnachfolger, Neugier über das Buch der Christen, das Forschen nach vermeintlichen Fehlern in der Bibel ...

Im Koran sind viele biblische Personen und Ereignisse angedeutet; das weckt Neugier, sich umfassender zu informieren. Warum werden Jesus und die Propheten des Alten Testamentes im Koran öfters erwähnt als Mohammed? Das macht nachdenklich. Zudem spricht Gott viele Muslime direkt an durch Träume, Visionen, Wunder und Heilungen. Und sie suchen Christus in der Bibel. In den letzten Jahren haben politische Ereignisse viele Muslime aufgerüttelt.

Der „Arabische Frühling“ 2011 stellte vieles Vertraute infrage. Die menschenverachtenden Grausamkeiten des IS im Namen des Islams erschüttern viele und drängen sie, die geschichtlichen und dogmatischen Grundlagen dieser Einstellung zu erforschen. Das führt oft zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Islam und Offenheit für Alternativen.

Eine Erweckung

Wie viele Jünger Jesu aus muslimischem Hintergrund gibt es heute in der arabischen Welt? Mit Zahlen bin ich sehr vorsichtig. Einige Nachfolger bekennen sich mutig zu Christus; andere sind durch den gesellschaftlichen und religiösen Druck eingeschüchtert und halten ihren Glauben geheim. Gott allein kennt die Herzen und kann urteilen.

Dennoch können wir heute von einer geistlichen Erweckung sprechen. Noch ist die Zahl klein gegenüber der muslimischen Mehrheit, doch sind es mehr als je zuvor in der Geschichte. Wir beten, dienen und erdulden in der erwartungsvollen Hoffnung, dass diese noch kleine Erweckung Anfang einer geistlichen, geistigen, kulturellen und geschichtlichen Erneuerung der arabischen Welt ist. Wir danken dem Herrn für jeden einzelnen neuen Nachfolger Jesu und beten zugleich für eine umfassende Reformation („Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sendet“, Mt 9,38).

Was Gott vor 500 Jahren in Europa wirkte, könnte auch in der arabischen Welt geschehen.

Zum Autor:

Dr. Robert Miner ist seit 30 Jahren in der theologischen Ausbildung in der arabischen Welt tätig.