Jesusglaube jüdischer Prägung

Messianisch-jüdisches Leben in Deutschland: Aktuelle Fragen

Die messianisch-jüdische Bewegung ist zugleich alt und jung. Alt, weil ihre geistigen Wurzeln in das erste Jahrhundert nach Christus reichen: Man denke an die Nachfolger Jesu und den jüdischen Völkerapostel Paulus. Die ersten „Christen“ waren jüdisch und nannten sich „Heilige“. Als es noch keine Kirche gab, trafen sich „Jesusjuden“ in der Synagoge. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurden an Jesus gläubige Juden innerhalb des Judentums wie auch innerhalb der Kirche an den Rand gedrängt. Viele waren später als Judenchristen Teil der Kirche.

Erst im 19. Jahrhundert änderte sich das wieder, als einzelne judenchristliche Gemeinden in Osteuropa wieder auflebten. Jung ist die Bewegung, weil jesusgläubige Juden in den 1960er Jahren zunehmend die Selbstbezeichnung „messianisch-jüdisch“ wählten und anfingen, sich wieder in eigenen Gemeinden zu versammeln.

Messianische Juden in Deutschland
Die Einwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland in den 1990er Jahren brachte auch messianische Juden in unser Land. Die Begleitung der messianischen Geschwister in Deutschland wurde seitdem Teil der Arbeit des Evangeliumsdienstes für Israel (EDI). Die Anzahl messianischer Juden hat seit den 1990ern langsam aber stetig zugenommen: Jüdische Menschen, meist aus atheistischem Hintergrund, haben Jesus als Juden und ihren Messias lieben gelernt. Heute treffen sie sich am Schabbat (samstags) in etwa 40 messianischen Gemeinden und Hausgruppen mit rund 2.000 regelmäßigen Gottesdienstbesuchern; unter ihnen auch Gläubige aus den Nationen. Umgangs- und Predigtsprache ist weitgehend russisch, für deutschsprachige Mitglieder und Besucher werden Übersetzungen angeboten. Jüdisch an Jesus glauben Messianische Juden sind gemäß ihres Selbstverständnisses beides: Teil des Leibes Christi, der Gemeinde des Messias, und Teil des weltweiten jüdischen Volkes. Sie verlieren nicht ihre jüdische Identität, wenn sie zum Glauben an Jesus finden. Alle sind eins im Glauben an Jesus, behalten aber ihre je eigene Herkunft und Kultur (Galater 3,26-28). Entsprechend wollen messianische Juden ein jüdisches Leben führen. In einer christlichen Kirche ist das schwierig. Nicht nur, dass es dort an Infrastruktur fehlt. In der Regel mangelt es auch am Bewusstsein dafür, dass es jüdische Ausdrucksformen des Jesusglaubens gibt, die sich von den eigenen unterscheiden. Deshalb treffen sich messianische Juden in eigenen Gemeinden, die einen jüdischen Lebenszyklus ermöglichen.

Sie halten ihren Gottesdienst am Sabbat. Sie feiern das Passafest, das Laubhüttenfest und Chanukka. Manche Männer tragen traditionell Kippa und Tallit (jüdische Kopfbedeckung und Gebetsschal) im  Gottesdienst. Die Gottesdienst-Liturgie enthält jüdische Elemente, zum Beispiel die Tora-Lesung oder jüdische Gebete. Dabei entscheiden die Ortsgemeinden selbst, wie stark diese Elemente bei ihnen ausgeprägt sind, ob sie traditionell jüdisch bleiben oder sich stärker am evangelikalen Christentum orientieren. Je nach Ausrichtung der Gemeinde oder persönlicher Frömmigkeit, halten sich messianische Juden mehr oder weniger an die jüdischen Speisegesetze. Zwischen „Kirche und Synagoge“ Messianische Juden in Deutschland stehen vor der Herausforderung, ihre eigene Position in der gegenwärtigen religiösen Landschaft zu bestimmen. Aus jüdischer Perspektive handelt es sich bei messianischen Juden um Christen, die das Judentum mit dem Glauben an Jesus als Messias abgelegt haben. Die meisten Verantwortlichen in den  Amtskirchen und der Synagoge unterstellen ihnen aktive Evangelisation unter Juden; aus evangelikaler Richtung ertönt hier und dort der Vorwurf der „Judaisierung“: Die Messianischen Juden seien „zu jüdisch“. Sie animierten Christen, jüdisch zu werden, wo doch der Apostel Paulus sich deutlich gegen diesen Trend stellte! Aber: Messianische Juden bekehren keine Nichtjuden zu einer jüdischen Lebensweise. Das ist nicht ihr Ziel. Die messianisch-jüdische Lebenspraxis ist ihr eigener, authentischer Ausdruck des Jesusglaubens jüdischer Prägung. Damit folgen sie der paulinischen Anordnung: „Doch wie der Herr einem jeden zugeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat, so wandle er; und so verordne ich es in allen Gemeinden. Ist jemand beschnitten berufen worden, so bleibe er bei der Beschneidung; ist jemand unbeschnitten berufen worden, so lasse er sich nicht beschneiden“ (1. Kor. 7,17-18).

Blick in die Zukunft
Messianische Juden in Deutschland leben bereits in der zweiten und dritten Generation unter uns. Sie bauen Gemeinde, formulieren eine Messianisch-Jüdische Theologie und denken über eine ihrem Leben angemessene Halacha (Glaubenspraxis) nach. Jesus-Juden gehören geistlich gesehen zur Gemeinde Jesu. Gleichzeitig haben sie Teil an der jahrtausendealten kulturellen und religiösen Tradition ihres jüdischen Volkes. Wird das heute normgebende rabbinische Judentum sie in absehbarer Zeit als eine Konfession innerhalb des Judentums anerkennen?

Die Autoren:

Weitere Informationen auf der Webseite des Evangeliumsdienstes: www.edi-online.de

 

Israeldienste in Verbindung zu messianisch-jüdischen Gemeinden:

  • Amzi, gegründet 1968 in der Schweiz
  • Evangeliumsdienst für Israel (EDI), gegründet 1971 in Stuttgart, freies Werk im Raum der Württembergischen Landeskirche, www.edi-online.de
  • Beit Sar Shalom, 1996 in Berlin in Verbindung mit Chosen Peoples Ministry, USA.
  • Juden für Jesus, amerikanisches Missionswerk, 1973 in Kalifornien gegründet