Das Kairos-Projekt in Haiger

Piero Scarfalloto: Kirche mit Menschen aus aller Welt

Offene Türen nutzen

Worum geht es? Kairos (griechisch Καιρός) ist ein religiös-philosophischer Begriff für ein offenes Zeitfenster, das nicht verpasst wer-den sollte. Anders ausgedrückt, könnte man den Kairos-Gedanken übersetzen mit „the time is now!“ Es geht darum, durch die Tür zu gehen, die sich vor einem öffnet und die Gelegenheit nicht verstreichen zu lassen. Das richtige Handeln im richtigen Moment ist gefragt. Es geht um das Gebet: „Herr, zeige uns, was jetzt dran ist“. Dieser Kairos-Gedanke war seit Beginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“ Ausgangspunkt unserer Frage, was es bedeutet und welche Verantwortung damit verbunden ist, dass Gott uns so viele Menschen aus vor allem muslimisch geprägten Ländern anvertraut.

Was hätte es früher bedeutet, Menschen aus Afghanistan, aus Syrien, dem Iran, aus Somalia und Eritrea mit dem Evangelium zu erreichen? Was hätte das für Missionare bedeutet: an jahrelanger Vorbereitung, an Kosten und Gefahren?

Unser Auftrag im Matthäus-Evangelium (Kapitel 28) ist klar formuliert: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker.“ Wenn die Völker hier sind, liegt die Arbeit auch bei uns vor Ort. Deswegen sprechen wir auch nicht von der Flüchtlingskrise, sondern sagen: Aus der Perspektive unserer Kirchen und Gemeinden, aus der Perspektive missionarisch denkender Christen ist es eine Flüchtlingschance.

Die Chance, das Leben dieser Menschen zu verändern mit der Kraft des Evangeliums. Die Chance, Hoffnung zu geben, die über den Horizont dieser Welt hinausgeht. Die Chance, dass auch Muslime Jesus als den Christus, den Messias, kennenlernen; schließlich ist Jesus auch für Muslime am Kreuz gestorben.Um diese Chance möglichst umfassend zu ergreifen, wurde im September 2017 für Haiger und die Region das Kairos-Projekt gestartet, als eine Gemeindegründung des Bundes Freier evangelischer Gemein-den (FeG).

Den kulturellen Graben überwinden

Das Kairos-Projekt versteht sich als Ergänzung zu der guten Arbeit, die schon von Kirchen und Gemeinden der Region geleistet wird. Die Ergänzung war und ist nötig, weil der kulturelle Graben zwischen den Bedürfnissen der Migranten und dem deutschen Gemeindealltag vielerorts oft größer ist als gedacht. Oft fällt es Kirchen und Gemeinden schwer, internationale Menschen zu erreichen und sie aktiv und nachhaltig ins Gemeindeleben einzubinden. Das war zumindest unsere Beobachtung.

Wir versuchen uns den Menschen auf eine Art und Weise zuzuwenden, die ihrer Sprache und Kultur entgegenkommt. Dabei sind wir darauf angewiesen, von der Perspektive inter-nationaler Menschen zu lernen und sie selbst mitgestalten zu lassen. Denn sie sind die besten Experten ihrer eigenen Kultur.

Dynamischer Start

Und seit Gemeindegründung erleben wir eine Dynamik, die wir so nicht erwartet hätten.

Zu unseren Gottesdiensten kommen mittlerweile im Schnitt 100 bis 140 Erwachsene plus Kinder. Der Großteil der Gottesdienstbesucher sind Geflüchtete. Einige von ihnen helfen uns, die Gottesdienste in bis zu sieben Sprachen zu übersetzen. Denn Muttersprache erreicht die Herzen. Gott hat die Tür nicht nur räumlich geöffnet, sondern auch geistlich: Im vergangenen Jahr durften wir zehn Menschen aus dem Iran und dem Irak taufen. Unter der Woche treffen sich Menschen in verschiedenen Sprachgruppen, um miteinander die Bibel zu lesen und ihr Leben zu teilen. Unsere sportintegrative Arbeit „Kairos-Sport“, die wir in Kooperation mit Sportler ruft Sportler organisieren, erreicht wöchentlich bis zu 100 junge internationale Menschen. Wir sind dankbar für diese Entwicklung.

Wir verstehen Gemeinde als Familie

Das eigentliche Herz der Arbeit sind aber weniger die Gottesdienste und regulären Treffen. Wir möchten vielmehr mit den Menschen im Alltag unterwegs sein. In den Sammelunterkünften. Beim Jobcenter oder im Sozialamt. Im Dönerladen. Bei der Wohnungssuche. Im Ge-richt, wo die drohende Abschiebung verhandelt wird. Bei einem guten orientalischen Tee und Gesprächen über Gott und die Welt auf dem Wohnzimmerteppich. Letzten Endes geht es darum, das Kairos-Projekt als Familie zu erleben. Als etwas, das trägt.

Kairos-Projekt – gelebte Allianz

Unsere Gemeindegründung ist strukturell im Bund FeG beheimatet, ohne dass dies aber im Gemeindealltag im Vordergrund steht. Unsere Mitarbeiter sind Menschen aus verschiedenen Kirchen und Gemeinden. Wir wissen, dass wir uns auch über denominationelle Grenzen hinweg gegenseitig brauchen, um etwas zu bewegen.

Das Spektrum des Denkens in Denominationen wird ohnehin gesprengt durch Frömmigkeitsprägungen, die unsere internationalen Leute mitbringen. Da gibt es Geschwister, die man nur schwer in irgendeine Schublade einordnen kann, weil sie z.B. in einer iranischen Untergrundkirche zum Glauben kamen, auf der Flucht von orthodoxen Christen geprägt wurden, nach ihrer ihrer Ankunft in der Erstaufnahmeeinrichtung einen Glaubensgrundkurs in einer lutherischen Kirche absolvierten und nun nach erneutem Umzug im Kairos-Projekt getauft wurden, mitarbeiten und sich bei uns zu Hause fühlen.

Obwohl unsere internationalen „Kairos“ler Teil einer FeG-Gemeindegründung sind, könnten sie wahrscheinlich gar nicht sagen, was „typisch FeG” ist. Was ist schon typisch in einer Gemeindegründung, in der die nigerianische Pfingstlerin, der orthodoxe Ägypter, der muslimisch aufgewachsene Iraker und die Iranerin aus der Untergrundkirche mitarbeiten? Und mitarbeiten kann je-der, der die Vision und die Werte unserer Gemeindegründung teilt.

 

Info: Piero Scarfalloto, piero.scarfalloto@feg.de, www.kairos-projekt.de

Zum Autor

Pastor Piero Scarfalloto

ist Leiter des Kairos-Projekts