Peinlich für Europa

Die erschreckende Flüchtlingssituation auf Lesbos – und der Einsatz der Christen

Ende Januar hatte ich Gelegenheit, mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, auch Mitglied im Hauptvorstand der Evangelischen Allianz (EAD), sowie Herbert Putz, dem EAD-Referenten für Migration und Integration, auf die griechische Insel Lesbos zu reisen. Wir wollten uns ein Bild von der Flüchtlingssituation dort machen.

Bei unserer Ankunft sind die Geschäfte ge-schlossen, der Müll stapelt sich in den Gassen. Lesbos hat zum Generalstreik aufgerufen. Bei einer Kundgebung vor dem Theater fordern die Redner, die Flüchtlinge auf das Festland zu bringen. Das Camp Moria, wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt Mytilene, ist für 3.000 Menschen ausgelegt. Es platzt aus allen Nähten: 21.000 Flüchtlinge warten auf Lesbos, das selber nur 80.000 Einwohner hat.

Die Nähe zur Türkei macht die Insel zum vermeintlich schnellen Weg nach Europa. Jede Nacht landen Schlauchboote am Ufer. Boote für 20 Personen, überfüllt mit 50, 60, 70 Menschen. Allein seit November 2019 sind 34 von ihnen ertrunken.

Wir besuchen Andrea Wegener vom Hilfs-werk Euro-Relief. Sie organisiert die Zuweisung in die Zelte. Doch alle offiziellen Plätze sind voll. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Ankommenden ein Wurfzelt in die Hand zu drücken.“ Die Flüchtlinge lassen sich auf den anliegenden Olivenhainen nieder. Ohne Strom, weitgehend ohne Wasser und Abwasser.

Täglich gibt es Vergewaltigungen. 1.000 Schwangere leben im Camp. Unbegleitete Minderjährige und Frauen sind Freiwild. Während unseres Aufenthalts hebt die Polizei einen geheimen Bordell-Container aus. Es gibt Plätze für 350 unbegleitete Minderjährige, doch tatsächlich leben 1.200 im Camp. Leichte Beute für Menschenhändler, schnell verfügbare Drogenkuriere.

Der große Appell: Frieden in Afghanistan, Syrien und Somalia

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geben uns politische Forderungen mit: Die Europäische Union muss sich schnell auf einen Verteilungsschlüssel einigen und Flüchtlinge von Lesbos aufnehmen. Bis dahin ist es nötig, Fachleute auf die Insel zu schicken, die die griechische Verwaltung unterstützen. Das eigentliche Camp muss vergrößert werden, damit wenigstens die am meisten verletzlichen Gruppen sicher unter gebracht werden können. Und natürlich ist der größte Appell: Die internationale Staatengemeinschaft muss alles tun, um in Afghanistan, Syrien oder Somalia Frieden zu schaffen und damit die Fluchtursache zu bekämpfen; fast 90 Prozent der Flüchtlinge stammen aus diesen Ländern.

Beeindruckt sind wir, wie viele Christen sich auf Lesbos engagieren. Im vergangenen Jahr wurde alleine Euro-Relief von 11.000 Freiwilligen unterstützt. Sie verteilen Kleider, sammeln Müll, helfen, wo immer eine Hand gebraucht wird. Im Camp ist es verboten zu missionieren, so leben die Christen ihren Glauben durch praktische Taten. Das bringt viele Muslime ins Nachdenken. In einem Nachbarort gibt es das Begegnungszentrum Oasis. Dort werden neben Sprachunterricht und Kinderbetreuung auch Bibelstunden und Gottesdienste angeboten. Hier haben wir einige Konvertiten getroffen, Ex-Muslime, die Christen geworden sind. Die Geschichte einer Iranerin hat mich besonders bewegt. Im Iran habe sie gehört, Frauen hätten nur ein „halbes Gehirn“ und dürften keine Fragen stellen. Jetzt als Christin fühlt sich zum ersten Mal als vollwertiger Mensch.„Was können wir für euch tun?“ fragen wir auch die Christen. „Erzählt von den Zuständen auf Lesbos, die Öffentlichkeit muss erfahren, wie groß die Not ist. Und, bitte, betet für uns!“, sagen sie.

Zum Autor

Uwe Heimowski

ist Politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz in Deutschland