Das Allianzhaus zur Zeit der ersten Konferenz 1886

Anna von Weling und ihre Berufung

Lebendige Allianz-Geschichte: Gründerin des Allianzhauses

Von Margitta Rosenbaum

Sie war die erste Allianz-Frau: Anna von Weling (1837-1900) hat 1886 zur ersten Allianzkonferenz nach Bad Blankenburg eingeladen. Sie ist die Gründerin des Allianzhauses. Wie konnte eine Frau in der damaligen Zeit, in der weitgehend patriarchalische Strukturen herrschten, so ein Werk ins Leben rufen?

Diese Frage hat mich beschäftigt, seit ich die Geschichte des Hauses das erste Mal gehört habe. Sie drängte sich auf, als ich Fotos aus der Gründerzeit sah: Sie zeigen eine Frau, die demütig zu den Männern in Frack und mit langen Bärten aufsieht. Die Frage interessierte mich nicht nur, weil Allianz mir persönlich wichtig ist. Ich wollte es auch wissen, weil mein Platz und meine Berufung seit Jahrzehnten die Frauenarbeit ist. Die Auseinandersetzungen um predigende Frauen und die Frage, was darf frau in der Gemeinde, haben mich fast vier Jahrzehnte lang begleitet. Ich freue mich, dass heute manches selbstverständlich geworden ist. In diesen Fragen habe ich viel von Anna von Weling gelernt. Sie ging mutig und konsequent ihren Weg, obwohl sie nicht nur Erfolg hatte.

Berufung beginnt damit, dass Gott in seine Nachfolge ruft. Als junge Frau hat Anna von Weling sich in Schottland von einem Erweckungsprediger zur Entscheidung für ein Leben mit Christus rufen lassen. Von da an kannte sie nur noch einen Maßstab: Sie wollte ein geheiligtes, von Gott bestimmtes, Leben führen.

Gott braucht mich

Anna von Weling hat sich als von Gott berufene Frau gefühlt. Diese Berufung hat sie kompromisslos gelebt. Das wird am Ende ihres Lebens ganz deutlich. Für ihre Beerdigung hatte sie alles geplant, sogar die Lieder ausgesucht. Obwohl sie viele neue Lieder aus dem Englischen übersetzt und in Blankenburg eingeführt hatte, sollte an ihrem Grab gesungen werden: „Ach mein Herr Jesu, wenn ich dich nicht hätte und wenn dein Blut nicht für die Sünder redte, wo sollt ich Ärmster unter den Elenden mich sonst hinwenden?“ Das war ihre Basis, davon lebte sie. Das war ihre Berufung. Darum hatte sie zu den bekannten Versen einen weiteren hinzu gedichtet, der für unsere Ohren gewöhnungsbedürftig ist: „Ach mein Herr Jesu, wenn du mich nicht hättest, für den du täglich zu dem Vater betest, nicht schenkten Himmelsfreuden deinem Herzen den Lohn der Schmerzen.“

Mit einer bestimmten Vorstellung von christlicher Demut lässt sich das nicht vereinbaren. Mit dem Gedanken, dass diese Frau ihre Berufung zum Lebensinhalt gemacht hat, ist es ein beeindruckendes Zeugnis. Anna von Weling war davon überzeugt, dass Gott sie in dieser Welt gebrauchen will: Ohne ihren Einsatz würde dem Reich Gottes etwas fehlen. Die Freude darüber reicht bis in den Himmel. Für mich ist das gelebte Berufung. Ich wünschte mir mehr Christen, die mit dieser Gewissheit ihr Leben gestalten: Gott braucht mich! Ich denke, sie wollte sich mit dieser Aussage nicht besonders loben. Bis zu ihrem Tod musste sie Rückschl.ge hinnehmen. Über große Enttäuschungen und in kleinen selbstverständlichen Schritten fand sie zu dem Platz, der heute noch an sie erinnert.

Die erste große Enttäuschung ihres Lebens war, dass ihre Jugendliebe vereitelt wurde. Darum entschied sie sich sehr früh für ein Leben mit Gott. Bei ihrer Bekehrung entdeckte sie, dass ein frommes Leben allein nicht ausreicht, sondern Jesus als Retter ihr Leben bestimmen will. Sie begann damit, das umzusetzen, was sie als Gottes Willen für das Leben einer Frau aus der Bibel erkannt hatte: Sie nahm Kinder auf. Ihre ersten Pflegekinder übernahm sie als 23-Jährige. Im deutsch-französischen Krieg erwies sie sich als durchsetzungsfähige und tatkräftige Hilfe in einem Lazarett. Als Schriftstellerin brachte sie ihre Überzeugung in ihren Büchern zum Ausdruck. Das bescherte ihr eine große persönliche Katastrophe: Sie musste Bonn verlassen, weil sie die Zustände an der Universität anprangerte. Unbekümmert begann sie eine neue Arbeit in einem kleinen Dorf in Anhalt: Sie sammelte und unterrichtete Kinder, evangelisierte. Diskrepanzen mit dem örtlichen Pfarrer sorgten dafür, dass sie auch diesen Ort verlassen musste. Über diese Umwege kam sie nach Blankenburg.

„Wie geht es den Brüdern?“

Mich ermutigt die Geschichte dieser Frau. Sie hat sich nicht beirren lassen. Nicht die Vision einer großen Konferenz hat sie angetrieben, sondern der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes. Hinzu kam, dass sie immer die Verbindung zu anderen Christen gesucht hat. Gleich nach ihrer Bekehrung hatte sie die großen Konferenzen in England besucht. Sie war überzeugt, dass Christen einander brauchen, aufeinander hören, voneinander lernen sollen. Die Frage „Wie geht es den Brüdern?“ war für Anna von Weling ein Kennzeichen lebendigen Glaubens.

Die Idee einer Konferenz hatten die Brüder Baedecker und Ziemann an sie herangetragen. Sie unterstützten sie auch bei der Durchführung. Bezeichnend ist: Der ersten Einladung zu einer Konferenz folgte niemand. Auch davon ließ die Gründerin sich nicht entmutigen. Sie wollte „den Namen Jesu verherrlichen durch Aufnahme elternloser Kinder und durch die Verkündigung des Evangeliums an die Verlorenen“. In ihrem Haus sollte auch Raum sein für Menschen, die in christlicher Umgebung Erholung suchten, besonders für erschöpfte „Reichgottesarbeiter“. Diese Ziele hat sie konsequent verfolgt. Was Gott daraus gemacht hat, darüber staune ich noch heute.

Die Geschichte Gottes mit diesem winzigen Punkt auf der Landkarte hat mit einer Frau begonnen und wurde durch viele andere Christen weitergeschrieben. Für mich ist Bad Blankenburg ein Ort des Segens und der Begegnung. Als Kind der DDR habe ich dazu natürlich eine besondere Beziehung. In einem Staat, der Christen deutlich machte, dass sie nicht in diese Zeit passen, war es wichtig, so eine Konferenz zu erleben. 29 Jahre nach der Wende schätze ich diesen Ort und vor allem die Konferenz noch genauso: Zu erleben, wie andere die Bibel auslegen und ihr Leben als Christ gestalten, ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen – das gibt mir jedes Jahr Mut für meinen persönlichen Weg mit Gott.

 

Zur Autorin

Margitta Rosenbaum ist Referentin für Frauenarbeit.

Über Anna von Weling hat sie das Buch „Wie sich der Regenbogen spannt“ (Brunnen) geschrieben.