Langweiler oder Leuchtturm?

Christen sind dafür: Wie sieht das Image der Evangelikalen in der Politik aus?

Die Evangelikalen. Im politischen Berlin denken dabei viele zuerst an die Trump-Unterstützer in den USA. Evangelikal ist gleich WASP (white anglosaxon protestant – weißer angelsächsischer Protestant). Wenn ich von schwarzen Evangelikalen erzähle, die mehrheitlich Obama wählten, oder von der Social-Gospel Bewegung, die man eher als links-evangelikal bezeichnen muss, ernte ich überraschte Blicke. Ähnlich ist es in Deutschland. Evangelikale: Für viele sind das rechts-konservative Christen, etliche von ihnen potentielle AfD-Wähler. Klischees halten sich hartnäckig. Evangelikale sind Homoheiler, Dämonenaustreiber oder Zwangsbekehrer. Ein Bild, das eine Reihe von Medienberichten vermittelt hat, etwa die vieldiskutierte TV-Dokumentation „Mission unter falscher Flagge“. Für eine SWR Reportage über Evangelikale wurde ich neulich um ein Interview gebeten. Der Redakteur schickte mir einen Fragenkatalog, in dem er manches Vorurteil bediente. Seine Themen: Lebensschutz, Frühsexualisierung von Kindern, Genderfragen, Kreationismus, Sex vor der Ehe, Satan und Besessenheit, Gewalt gegen Kinder, Umgang mit Homosexualität. Kein Wort von Bibelverständnis, Gebetsbewegung, Gottesdiensten, Weltverantwortung. Evangelikale – eine krude Gruppe mit weltfremder Moral?

Eher Langweiler als Aufreger: Wie wir wirklich sind

Dabei sind wir Evangelikalen eher „langweilig“: die meisten fromm und anständig, fleißig und verantwortungsbewusst. Sie besuchen regelmäßig den Gottesdienst, lesen ihre Bibel und engagieren sich ehrenamtlich in der Gemeinde. Sie heiraten, sind einander treu und gründen Familien. Sie zahlen ihre Steuern und beten für die Obrigkeit. Im Erscheinungsbild dagegen sind Evangelikale ausgesprochen vielfältig. Da ist der schwäbische Pietist, der sächsische Methodist, der charismatische Landeskirchler, der Brüdergemeindler mit russlanddeutschen Wurzeln – und viele mehr. Diese Vielfalt macht es schwer, von „den“ Evangelikalen zu reden. Man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Es gibt skurrile Typen unter uns, auch unabhängige Gemeinden. Es gibt manche, deren Blick auf wenige Themen verengt ist. Sie fühlen sich von den herkömmlichen Parteien nicht mehr repräsentiert. (Dass manche eine Nähe zur Neuen Rechten haben, zeigt Liane Bednarz in einigen Verbindungen in ihrem Buch „Die Angstprediger: Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“.) Doch wer von diesen Ausnahmen auf die Regel schließt, zeichnet ein völlig falsches Bild von der Mehrheit der Evangelikalen. Manche Evangelikale betonen die Abgrenzung: gegen Abtreibung, die Ehe für alle, Gendermainstreaming usw. Dabei haben wir das nicht nötig. Neulich sagte mir Philipp Amthor, jüngster Abgeordneter im Bundestag, streitbarer, kluger Konservativer, ohne Bezug zur Kirche: Er bewundere die Christen. Und schob nach: „Wir Konservativen müssen uns immer über Abgrenzung definieren. Für Sie ist es einfacher: Als Christ haben Sie die Bibel und damit stehen Ihre Werte fest. Sie müssen sich von niemandem abgrenzen.“ Recht hat er. Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) wird manchmal als „Dachverband der Evangelikalen“ bezeichnet. Das ist nicht ganz richtig. Es gibt keine verbindliche Struktur der verschiedenen Gruppen und Gemeinden. Kein Kirchenamt, das die Autorität hätte, die schrägen Typen in der evangelikalen Welt zur Ordnung zu rufen. Die DEA ist ein Netzwerk, Basisbewegung. Wir werben für ein geistliches Miteinander verschiedener Christen. Wir versuchen, möglichst mit einer Stimme zu sprechen, weisen auch auf Missstände hin. Die DEA ist Bibelbewegung: Gottes Wort ist für uns die verlässliche Richtschnur in Glauben und Handeln. Wir richten unsere Werte danach aus, im persönlichen Leben wie in der Politik. Wir sind eine Jesusbewegung, wir glauben, dass Jesus der einzige Weg zu Gott ist, deshalb laden wir Menschen zu ihm ein. In Wort und Tat, durch Evangelisation und Mission, durch gesellschaftliches Engagement und Übernahme von Weltverantwortung. Die meisten Evangelikalen teilen diese Überzeugungen.

Leuchttürme: Wo Evangelikale deutlich wahrgenommen werden

Im politischen Berlin werden wir unterschiedlich wahrgenommen. Viele Abgeordnete haben noch nie von der DEA gehört. Für sie gibt es nur evangelisch oder katholisch. Sie sind überrascht, wenn ich von der Vielfalt evangelikaler Christen berichte. 

Manche stecken in den gleichen Vorurteilen fest, die ich eingangs erwähnt habe. Ihnen versuche ich das breite Themenspektrum aufzuzeigen, für das wir stehen. Klar, wenn jemand jeden Lebensschützer per se in die rechte Ecke stellt ... Wir werden wegen dieser Etikettierung unsere Positionen nicht aufgeben. Für uns ist jedes Leben heilig, weil jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist. Vor und nach der Geburt, gesund oder behindert. Andere nehmen uns positiv wahr, schätzen unsere Meinung. Bei manchen Themen können wir auch Leuchtturm für christliche Werte sein. 

Im Sommer 2017 beschloss der Bundestag die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Wir haben dazu eine Stellungnahme herausgegeben, uns darin einerseits deutlich gegen jede Form von Diskriminierung von Lesben und Schwulen ausgesprochen. (Und seien wir ehrlich, da haben viele Evangelikale noch einiges zu lernen!)

Zugleich haben wir als Christen betont, dass im Grundgesetz Ehe und Familie besonders geschützt werden. Kinder entstehen auf natürlichem Wege aus der Vereinigung von Mann und Frau. Ehe und Lebenspartnerschaft sind nicht einfach identisch. Es muss der Rechtsgrundsatz gelten, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist.

Das ist keine Diskriminierung, sondern eine Differenzierung. Wir schickten unsere Stellungnahme an die Mitglieder des Deutschen Bundestags (MdB). Die Mehrheit haben wir nicht überzeugen können. Das war auch nicht zu erwarten. Aber für manche war unsere Position ein Leuchtturm. So lud mich Heinrich Zertik in sein Büro ein. Der MdB, selber Russlanddeutscher, war seinerzeit Beauftragter seiner Partei für Aussiedlerfragen. Er bedankte sich ausdrücklich für unsere Stellungnahme. Für die in Wertefragen größtenteils konservativen Rumänien- oder Russlanddeutschen sei es ein wichtiges Signal gewesen, dass sie nicht alleine stehen mit ihren Überzeugungen. Wurden wir beim Thema „Ehe für alle“ eher „rechts“ verortet, steckten manche uns beim nächsten Anliegen in die „linke“ Ecke: Bereits 2014 erschien die Broschüre: „Flüchtlinge willkommen heißen“, herausgegeben vom Arbeitskreis Migration und Integration (AMIN) der DEA gemeinsam mit dem Orientdienst. Darin werden biblische Grundlagen dargestellt, praktische Hilfen im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen gegeben und auch Themen wie Asylverfahren oder Taufe erklärt. Als die Flüchtlingszahlen 2015 sprunghaft stiegen, war die Broschüre vielen Gemeinden und Initiativen eine große Hilfe. Sie wurde achtmal nachgedruckt und fand Beachtung über die evangelikale Szene hinaus. Hier konnten wir als echter Leuchtturm vielen Menschen Orientierung geben.

Expertise für Religionsfreiheit

Ein drittes Beispiel. Beim Thema Christenverfolgung wird die Meinung der Evangelikalen geschätzt. Hier besitzen wir eine große Expertise. Gemeinsam mit anderen geben wir regelmäßig die Jahrbücher „Religionsfreiheit“ sowie „Diskriminierung und Verfolgung von Christen“ heraus. Jeder MdB erhält ein Exemplar. Mitherausgeber Prof. Thomas Schirrmacher wird regelmäßig zu Expertengesprächen eingeladen. An der evangelikalen Hochschule FTH (Gießen) wurde im Frühjahr 2018 der deutschlandweit erste Lehrstuhl für Religionsfreiheit und Erforschung der Christenverfolgung eingerichtet. Zur Einführung von Prof. Christof Sauer kamen hochrangige Vertreter der Politik, die die Vorreiterrolle der Evangelikalen bei diesem Thema betonten. Werke wie Open Doors, HMK oder AVC erheben ihre Stimme regelmäßig für verfolgte Christen. Als Beauftragter der DEA arbeite ich in mehreren Arbeitskreisen des Bundestags zu diesem Thema mit. Dass unsere Stimme Gehör findet, zeigt nicht zuletzt die Einsetzung eines Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreiheit. Wir hatten das lange gefordert. Nun stehen wir in gutem Austausch mit dem Amtsinhaber Markus Grübel.

Diese Beispiele zeigen: Mag es auch manches Klischee geben, und auch an der ein oder anderen Stelle berechtigte Kritik an den Evangelikalen. Bei manchen Themen werden wir sehr ernst genommen. Darum lasst uns mutig zu biblischen Werten stehen, in Wort und Tat! Gottes Wort ist und bleibt ein Leuchtturm. Für das eigene Leben – und auch für die Politik.

Zum Autor

Uwe Heimowski ist Politikbeauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz mit Dienstsitz in Berlin.