Glaubwürdig mit weltweitem Horizont

Zwei Leiter von Hilfswerken über gelebtes Christsein im 21. Jahrhundert

Steve Volke, Compassion: Hoffnung leben – Hoffnung verbreiten

Keine Frage: Die Welt scheint nicht besser zu werden. Trotzdem stimme ich nicht mit ein ins allgemeine Klagen. Natürlich können die politischen Entwicklungen der letzten Jahre Angst machen. Die gesellschaftlichen Probleme werden nicht kleiner, während die Fragestellungen immer komplizierter und die Antworten immer schwieriger werden. Trotzdem habe ich Hoffnung. 

Vor vielen Jahren hat der damalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann einen wichtigen Satz gesagt: „Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt!“ Damit hat er auf eine Glaubensbasis hingewiesen, auf die auch wir uns immer wieder beziehen können: Jesus Christus. Er gibt nicht nur uns persönlich Hoffnung, sondern möchte, dass wir selbst zu Hoffnungsträgern werden.

Unsere Berufung erkennen … 

Die Welt geht nicht zugrunde an einem sich immer stärker ausbreitenden Islam. Sie kommt nicht ins Wackeln durch Flüchtlingsströme, atomares Säbelrasseln, „Strafzölle“ oder Wirtschaftskriege. Sie kommt ins Wanken durch Christen, die ihre Berufung nicht kennen und sie nicht leben. Der Auftrag, den Jesus an seine Nachfolger gegeben hat, ist sehr verständlich und klar: Wir sollen Salz und Licht sein! 

Shane Claiborne, ein streitbarer christlicher Aktivist aus Philadelphia (USA), hat es einmal so ausgedrückt: „Christen sind nicht berufen, cool zu sein. Sie sind berufen, außergewöhnlich zu sein.“ Außergewöhnlich Leben. Das begegnet mir in vielen Ländern, in denen wir mit engagierten Gemeinden zusammenarbeiten, um Kinder aus Armut zu befreien. 

Zum Beispiel bei Pastor Joel im Slum von Mathare (Kenia). Seine Gemeinde setzt Hoffnungszeichen. Von 300 Gemeindemitgliedern haben es inzwischen mehr als 150 geschafft, aus extremer Armut herauszukommen und wegzuziehen. Aber jeden Sonntag sind sie wieder im Gemeindehaus, um ein Zeichen der Hoffnung und Solidarität zu setzen. Vor fünf Jahren hätte Joel die Möglichkeit gehabt, in den USA zu leben und sogar die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Er lehnte ab und blieb: „Hier ist meine Berufung, bei den Menschen von Mathare.“ Und so lebt er weiter am Rande einer Müllkippe und kümmert sich um sie.

… und leben

Wo wachsen Gemeinden und warum? Wer sich mit diesen Fragen beschäftigt, dem fällt schnell auf, dass äußere (widrige) Umstände das Reich Gottes nicht aufhalten können. Es wächst dort, wo Menschen sich ihrer Berufung bewusst sind und sie leben. Wie zum Beispiel Michelle Tolentino aus den Philippinen, die Tochter eines Drogenhändlers und Diebes aus Manila. Sie lebte mit 17 Personen in einer 12 Quadratmeter großen Hütte. Ihr Leben war vorgezeichnet, bis zu dem Tag, an dem sie in Kontakt mit einer christlichen Gemeinde kam. Michelle lernte einen Gott kennen, der sie liebt, sich um sie kümmert und dem sie wichtig ist. Michelles Leben verlief dann völlig anders als gedacht: Sie konnte einen Schulabschluss machen, studierte Kommunikation und Marketing – und landete schließlich mit einem Stipendium an dem renommierten Moody Bible College. Ihren Abschluss schaffte sie mit summa cum laude. Heute lebt sie wieder im Slum von Manila und kümmert sich darum, junge Frauen aus der Prostitution zu befreien. Weil es ihre Berufung ist. 

Zwei Beispiele, von denen ich lerne. Wir können Salz und Licht sein – wenn wir es wollen. 

Christoph Waffenschmidt, World Vision: Eine globale Perspektive mit Glaube, Liebe und Hoffnung

Das 21. Jahrhundert. War das nicht die Zukunft, die in den Utopien der 70er und 80er Jahre als glückliche und hochtechnisierte Welt gemalt wurde: mit individuellen Flugobjekten und Liebe und Frieden zwischen allen Menschen? 

Nun ja, wir sind noch nicht in Flugtaxis unterwegs, aber es wird fleißig daran gearbeitet. Von ausschließlich glücklichen und in Frieden lebenden Menschen und Ländern sind wir dagegen gefühlt weiter entfernt denn je. 

65 ist die Zahl, die ich dem leider entgegenhalten muss. 65 Millionen. So viele Menschen sind weltweit auf der Flucht und suchen Schutz vor Vertreibung, Vergewaltigung und Tod. Das sind ziemlich genau so viele Menschen, wie Frankreich Einwohner hat. Es ist die Zahl, die mich als Leiter von World Vision und vor allem als Christ umtreibt und motiviert.

Ich will gar nicht auf das bisweilen sehr kleine Karo der Diskussion zu Menschen auf der Flucht eingehen, die wir in Deutschland und Europa traurigerweise erleben. Ich erzähle lieber von den Begegnungen und Erlebnissen, die meine Haltung und mein Engagement prägen, und die mir immer wieder den Blick dafür öffnen, wie es der Welt und Gottes Ebenbildern auf dieser Welt geht.

Gott mehr glauben und vertrauen als meinen Plänen

In Dohuk im Norden des Irak habe ich Akile getroffen, die, hochschwanger mit ihrem 3. Kind, vor dem „Islamischen Staat“ geflohen ist und hier Zuflucht gefunden hat. Nach einer Nacht in Sicherheit gebar sie ihre Tochter und gab ihr den Namen „Flüchtling“, weil sie als solche geboren ist und wahrscheinlich auch ihr ganzes Leben ein Flüchtling sein wird. 

Die Begegnung mit Akile und ihrer Tochter hat mich tief getroffen. Zugleich gibt sie mir die Kraft, mich dafür einzusetzen, dass Mütter ihre Kinder nicht mehr „Flüchtling“ nennen müssen.

Auch im 21. Jahrhundert gilt für uns als Christen, dass wir durch unseren Glauben, unsere Liebe und unsere Hoffnung erkannt werden sollen. 

Für mich persönlich heißt das, dass ich Gott mehr glauben und vertrauen will als meinen eigenen Plänen. Und dieser Glaube gibt mir Kraft, über persönlichen Schmerz und so traurige Begegnungen wie die mit Akile hinweg an der Hoffnung festzuhalten, dass wir eingebettet sind in Gottes große und gute Barmherzigkeit. Und ich möchte als Christ mutiger lieben. Mutig heißt z.B., sich an das Unbekannte heranzutrauen, über den eigenen Landesrand zu blicken und den Fremden zu lieben. 

Ich arbeite bei World Vision – und der Name drückt aus: Wir nehmen bei unserem Engagement die Welt in den Blick. Sicher können wir nicht überall Hilfe leisten, aber wichtig ist, dass wir die Welt als Ganzes sehen und uns mit ganzem Herzen für sie einsetzen. Für mich als Christ im 21. Jahrhundert bedeutet das, mich mutig für Akile, ihre Tochter und die Vielen, Vielen einzusetzen, die ihre Heimat verloren haben. 

Zu den Autoren

Steve Volke ist Direktor des Kinderhilfswerks Compassion, das in 25 Ländern der Erde mit christlichen Gemeinden zusammenarbeitet. 

Christoph Waffenschmidt ist Vorstandsvorsitzender des Kinderhilfswerkes World Vision Deutschland, das über 170.000 Unterstützer nachhaltige Projekte in 50 Ländern der Erde fördert.