Einladende Gespräche außerhalb von Gemeinderäumen: ein wesentlicher Teil von „The Turning“

„NICHT AUF ULRICH PARZANY WARTEN"

Der Bremer Pastor Johannes Müller über die evangelistische Aktion „The Turning“

Ein Interview von Jörg Podworny

Mission ist das Schwerpunktthema des Heftes, Johannes. Deine Analyse ist da wenig rosig. Du sprichst von „Nullwachstum“ in der großen Zahl von Gemeinden...
Das ist natürlich eine gewagte These. Ich als Landeskirchler  muss  ja  sogar  von  Minus-wachstum sprechen. Aber: Wenn man ehrlich ist, gibt es mal biologisches, mal Transferwachstum, aber nicht den großen Zulauf. Das muss nicht in Depression führen, aber dahin, zu überlegen: Wie können Gemeindemitglieder den Blick gewinnen da-für: Ich bin ein Botschafter der Versöhnung mit Gott.

Du wirbst aktiv für „The Turning“. Ihr habt dieses evangelistische Straßen-Projekt in Bremen schon durchgeführt?
Ja. In Bremen gab es bisher zwei große Aktionen: vor gut zwei Jahren für zwei Wochen und eine Woche im letzten Jahr. Und das Jahr über sind wir jeweils einmal im Monat unterwegs. Am Abend vorher versammeln wir uns stadtweit zum Gebet, am Tag darauf gehen wir für eine Stunde auf die Straße.

Wer ist „wir“?
Wir sind ein Mitarbeiter-Team von 35 bis 45 Leuten aus neun bis zwölf Bremer Gemeinden.

In wesentlichen Zügen: Was passiert bei „The Turning“ auf der Straße?
Einmal wollen wir Christen dabei helfen, das Evangelium kurz zu erklären. Johannes 3,16, „So sehr hat Gott die Welt geliebt ...“ ist der Startpunkt. Wir gehen dann auf Menschen zu und sagen: „Guten Tag. Ich habe eine gute Nachricht für Sie: Gott liebt Sie und hat einen guten Plan für Ihr Leben.“ Für das Gespräch gibt es eine Vorlage, auf der Kern-Fragen auf-tauchen, die Frage nach der Ewigkeit etwa. Interessant ist: Wir haben mittlerweile mit über 10.000 Leuten gesprochen – und sehr viele be-antworten diese Frage ernst und überlegt: „Weiß ich nicht. Vielleicht. Ich glaub schon, ich bin getauft“. Dann fragen wir: Dürfen wir Ihnen sagen, was die Bibel sagt? Wir zitieren Verse aus dem Römerbrief und laden anschließend ein, für sie zu beten. Das ist im Wesentlichen alles. Das kann in drei, vier Minuten passieren. Und dutzendfach haben wir erlebt, dass Menschen sagen, ich bin auf der Suche ... und jetzt sprechen Sie mich an.

Menschen sind also zum Gespräch auf der Straße bereit? Sie machen keinen großen Bogen um euch?
(lacht) Klar: Wenn jemand mit einem Klemmbrett auf dich zuläuft, dann kommt ein Abwehrreflex. Und natürlich steigt nicht jeder auf ein Gespräch ein. Aber wenn wir die Leute freundlich ansprechen, gibt’s eigentlich immer eine Antwort. Zwischen „Nee, keine Zeit“ und „Ist ja interessant“ gibt es alle Varianten. Und: Wir haben erlebt, dass schon der erste kleine Satz wie ein kleines Samenkorn ist. Wir sind Sä-Leute, die etwas Gutes aussäen. Dabei stellen wir fest: Es verändert michmehr als alles andere. Weil ich plötzlich sensibel bin für das Wirken von Gottes Geist. Wir Christen haben heute oft richtig Bammel! Das müssen wir aber nicht. Wir ermutigen an den Abenden deswegen, sich mit Gottes Geist und seiner Liebe füllen zu lassen, auch wenn das Herz immer noch klopft. 

Manche Christen haben Vorbehalte, kritisieren, dass viel Druck auf die Menschen aufgebaut wird und das nicht wirklich nachhaltig sein kann. Haben die Kritiker recht?
Ich kann das nachvollziehen. Interessant ist: Diejenigen, die sich kritisch äußern, sind meist in einer abgeschlossenen christlichen Welt aufgewachsen. Diejenigen, die erst später Christen geworden sind, reden ganz anders. Sie sagen: Was ist das für eine befreiende Botschaft! Wie können wir die an den Mann oder die Frau bringen? Ich will das, weiß aber nicht wie. Denn das spielt in vielen Gemeinden nicht mehr so die Rolle, sie warten auf den Evangelisten von außen.Ich verstehe auch, wenn manche hier Manipulation fürchten. Aber: Wir bieten ja nur an. Ich glaube, das Evangelium lässt sich nicht nur transportieren, indem wir Gutes tun und freundlich zu den Menschen sind. Sondern wir müssen es auch aussprechen. Ich glaube, Gottes Geist bewegt etwas. Und warum sollte er nicht meine Worte benutzen, um etwas zu bewegen in den Herzen von Menschen?

Du siehst bei „The Turning“ viele Pluspunkte, hast schon erwähnt: Die größte Veränderung passiert bei den Christen, die mitmachen ...
Genau. Den Satz „Gott liebt dich und hat einen guten Plan für dein Leben“ kannst du beim Mülltonne-Raustragen, im Gespräch mit deinem Nachbarn, im Krankenhaus sagen – wo immer du bist. Und vielleicht kannst du deinen Nachbarn, der Sorgen hat, auch fragen: Du weißt, ich bin Christ: Darf ich für dieses Anliegen beten? Wir stellen fest: Die Christen, die hier in Bremen mitgemacht haben – das waren bis jetzt über 500 –, gehen ganz anders in eine Situation. Die Sensibilität für Gott und die Menschen wird erhöht. Und wenn sie erleben, dass die Kraft des Evangeliums plötzlich Herzen ergreift und verändert – das können wir ja gar nicht machen – dann ist das ein Segen!

Mehr als 500 Christen waren auf der Straße unterwegs? Das passiert ja nicht oft ...
Das kann ich dir sagen! Wenn du in einer Gemeinde erklärst, wir wollen eine Woche evangelisieren, dann zweifeln viele: Ob ich das hinkriege?! Und das sagen mir Leute, die sind 30 Jahre Christen! Dann frage ich mich: Woran liegt das? Wir sind jedenfalls eingeladen, unser Vertrauen ganz auf Jesus Christus zu setzen.Und jeder ist selbst der Evangelist. Keiner muss auf Parzany warten.Das ist der Punkt. Ich liebe die großen christlichen Events, ob Je-susHouse, Christival oder proChrist, und finde sie wichtig. Aber es wird dann immer gesucht: Wer kann’s am besten? Und da sage ich: Wenn du in der Bibel liest, „Wir sind Botschafter an Christi Statt“, dann sind das nicht nur Ulrich Parzany und die Profichristen – sondern damit ist jeder gemeint. Wenn wir nur nach dem Schöneren und Hipperem suchen und auf den großen Redner warten, dann beschneiden wir unsere innere geistliche Power. Und versäumen es, dass im Alltag die tolle Botschaft zu den Menschen kommt, dass Gott sie liebt und möchte, dass sie seine Söhne und Töchter werden. Darum mache ich Mut: Schließt euch zusammen mit anderen Gemeinden in eurer Stadt und Region und bringt das Evangelium zu den Menschen!

Vielen Dank für das engagierte Gespräch! Vielleicht kann es gute neue Impulse setzen.

Zum Autor

Johannes Müller ist Missionsbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastor des „Lighthouse“-Projekts und Mitglied im Arbeitskreis Gebet der Deutschen Evangelischen Allianz (Info: jmueller@lighthouse-bremen.de)