„... so sende ich euch“

Mission und Evangelisation in der Landeskirche

Nach dem Johannesevangelium (Joh 20,21) sendet Jesus seine Nachfolger: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ So beginnt Mission: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“ Der auferstandene Herr begegnet seinen Jüngern. Sie erkennen ihren Herrn und Meister. Er grüßt sie „Friede sei mit euch.“ Erst dann kommt es zu Auftrag und Sendung. Mission beginnt nicht mit Kongressen, Vorträgen, Workshops und Methoden-Büchern, nicht mit missionarischen Aktionen, nicht mit Arbeitsstellen oder Werken. Am Anfang steht das Staunen, die große Freude. „Da wurden die Jünger froh ...“ Die Freude über die Begegnung mit dem Auferstandenen. Dann kommt die Sendung.

„wie mich der Vater gesandt hat“
Die entscheidende Voraussetzung der Mission liegt darin, dass der Vater seinen Sohn gesandt hat. In der Person Jesu Christi ist „das Licht der Welt“ (Joh 8,12; 9,5) zu uns gekommen: das wahre Licht, das Leben schenkt. Die Nacht ist im Schwinden, weil ein neuer, nun nicht mehr endender Tag unwiderruflich im Kommen ist. Diesem Tag folgt keine Nacht mehr. Dieses Licht ist da. Es bringt die Nacht zum Schwinden, ohne dass ein Mensch dabei mitwirkt. Das ist der souveräne Indikativ des Evangeliums: dass die ganze Welt bereits im Licht der Gnade Gottes existiert. Ist dieses Licht schon da, dann ist es für alle da. Bricht der Tag schon an, dann für alle. In Jesus Christus spricht Gott so zu allen, zu den Glaubenden und Nicht-Glaubenden. Das Licht des Lebens ist für alle da. Es ist also nicht so, dass unsere missionarische Tätigkeit das Licht des Lebens erst erzeugt. Die Mission hat auf dieses schon scheinende Licht hinzuweisen. Erst von diesem mit der Geschichte Jesu Christi identischen souveränen Indikativ des Evangeliums her werden dann auch die Imperative verständlich, die die Glaubenden auffordern, nun ihrerseits zu leben und tätig zu werden: als „Kinder des Lichts“. Von der Sendung des Sohnes leitet sich die Sendung seiner Jünger ab. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“

„gesandt wie Christus“ bedeutet: gesandt mit dem Evangelium des Jesus Christus
Es geht um Jesus Christus, den Gekreuzigten, um seine Sendung im Kreuz. Die Kreuzigung des Jesus von Nazareth ist offenbar von den ersten Tagen der Christenheit an das prominente Thema des christlichen Zeugnisses. Paulus beschreibt gegenüber den Galatern die Aufgabe, die er als Apostel hat: Die Galater sind Menschen, denen „doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte“ (Gal 31,1). Und zu den Korinthern sagt er: Nichts wolle er bei ihnen „wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“ (1Kor 2,1). Das ist das Geheimnis des Kreuzes: Gottes Liebe gibt sich im Leiden und Sterben seines Sohnes für uns alle hin. Gottes Liebe erleidet selbst Gottes Zorn, um uns von allem Elend zu erlösen. Luther spricht von einem „seligen Tausch“: Im Kreuz Christi tauscht Gott mit uns, er nimmt auf sich, womit wir unser Leben zutiefst verdorben haben, und gibt uns das Leben in Fülle. „Gesandt wie Christus“: Im Kern kann es in unserer Mission und Evangelisation um nichts anderes gehen als um das Wort vom Kreuz. In seinem Kreuz ist die Versöhnung der Welt geschehen. Und weil Gott im Kreuz alles getan hat („Es ist vollbracht“), sind wir nun aufgerufen, an Christi Statt zu bitten: Lasst euch versöhnen mit Gott (2Kor 5,20)! Das rettende Wort vom Kreuz ist zu bezeugen und unsere Sehnsucht geht dahin, dass es von vielen angenommen wird.

„gesandt wie Christus“ bedeutet, dass Mission in der Weise Christi geschieht
Im Jahr 2011 haben die christlichen Dachorganisationen eine Missionserklärung verabschiedet, die genau diese Weise der Mission beschreibt. Die Präambel des Papiers bringt das Wesentliche des Missionsverständnisses und der daraus folgenden Handlungsempfehlungen auf den Punkt: „Mission gehört zutiefst zum Wesen der Kirche.“ Und: Die Art und Weise der Mission muss den „Prinzipien des Evangeliums“ entsprechen. Mission habe „in uneingeschränktem Respekt vor und Liebe zu allen Menschen“ zu geschehen.Alle Mittel der Täuschung, Vereinnahmung und Überwältigung dürfen mit Mission nichts zu tun haben. Es gilt vielmehr, der Weise Jesu Christi nachzuahmen:„In allen Lebensbereichen und besonders in ihrem Zeugnis sind Christen/innen dazu berufen, dem Vorbild und der Lehre Jesu Christi zu folgen, seine Liebe weiterzugeben und Gott, den Vater, in der Kraft des Heiligen Geistes zu verherrlichen“ (vgl. Johannes 20,21-23).

Von der Volkskirche zur Missionskirche
Und was heißt das für unsere evangelische Landeskirche?Auf Dietrich Bonhoeffer geht der Vorschlag zurück, die Kirche müsse sich diagnostisch darüber klar werden, ob sie sich in einer volkskirchlichen oder in einer missionskirchlichen Situation befindet. Nicht die geläufige Entgegensetzung von Volkskirche und Freikirche be-stimmt diesen Denkansatz, sondern die diagnostische Unterscheidung zwischen volkskirchlichen und missionskirchlichen Ausgangsbedingungen des kirchlichen Handelns. Die Lebenswirklichkeit unserer Kirchen wird sich unter den Bedingungen von Differenzierungen und Individualisierung deutlich verändern. Massiver Kontaktverlust zu Glaube und Kirche, religiöser Pluralismus und vagabundierende Religiosität sind die Kennzeichen, die die heutige Situation bestimmen.Die evangelische Kirche steht vor Herausforderungen und Umbrüchen wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie wird deutlich kleiner werden. Das Gesicht unserer Kirche wird sich gravierend verändern. Und wie tiefgehend diese Veränderungen sein werden, ahnen wir eher, als dass wir uns das richtig vorstellen könnten. Deswegen heißt die Aufgabe in unseren Kirchen: Vergewisserung der Christen und Stärkung ihrer missionarischen Ausstrahlung wer-den Kernaufgaben im Übergang von der Volkskirche zur Missionskirche sein. Die Weitergabe des Glaubens hat höchste Priorität, so hat es die EKD-Synode 1999 in Leipzig formuliert.

„so sende ich euch“: konkrete Schritte in den Landeskirchen
Die Weitergabe des Evangeliums vollzieht sich in einladenden Gottes-diensten, am Sonntag wie bei besonderen Gelegenheiten, am Urlaubsort, in der Kirche vor Ort und an außergewöhnlichen Orten, z.B. auf einer Bundesgartenschau. Deshalb gilt den Bemühungen um die Qualität des Gottesdienstes, in Inhalt wie in der Form, besondere Aufmerksamkeit.Landeskirchliche Arbeit kann durch ihr fast flächendeckendes Netz-werk nah bei den Menschen geschehen. Seelsorgerliche Begleitung in der Gemeinde, in besonderen Problemlagen, im Krankenhaus, in Gefängnissen oder im Militär gibt Rat aus christlicher Orientierung. Sicherlich ist Seelsorge nicht mit Mission gleichzusetzen, doch folgt auch die Seelsorge dem Sendungsauftrag Jesu und gibt Zeugnis des Evangeliums.Die Landeskirchen und die EKD werden nach wie vor in der Öffentlichkeit wahrgenommen, ihr Rat wird hochgeachtet. Auch wenn die evangelische Kirche sich in öffentliche Debatten einbringt oder aus christlichem Menschenbild an ethischen Grundsatzfragen mitwirkt, dient das der Sichtbarmachung der christlichen Botschaft.

Wahrgenommen wird Kirche heute vor allem als diakonische Kirche. Deshalb ist es wichtig, dass in unserer Diakonie deutlicher zum Leuchten kommt, inwiefern sie eine Ausdrucksform des Glaubens und nicht nur ein Beitrag zum Funktionieren des Sozialstaates ist. Zeugnis und Diakonie gehören in missionarischer Perspektive eng zusammen. Jüngst haben EKD und Diakonie Deutschland und die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste aus diesem Grund die Arbeitsstelle „midi“ (Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung) eingerichtet und gut ausgestattet.Besondere Aufmerksamkeit gehört der missionarischen Dimension in allem Bildungshandeln der Kirche. Mit Glaubenskursen haben evangelische Kirchen in den letzten Jahren einen Quantensprung in der Verbreitung erlebt. Ob „Spur 8“, Alpha-Kurse oder Stufen des Lebens – es gibt mehr als 60 verschiedene Angebote für die unterschiedlichen Gemeindekontexte. Kirchen wirken auch mit in evangelischen Schulen oder am allgemeinen Bildungsauftrag, in kirchlichen oder diakonischen Kindertagesstätten oder in der Diakonie mit Angeboten für die Mitarbeitenden. Auch in der Konfirmandenarbeit werden viele Jugendliche mit Inhalten des evangelischen Glaubens bekannt.Neben dem Pfarramt hat das Ehrenamt in unserer evangelischen Kirche einen besonderen Rang. Über eine Million Ehrenamtliche beteiligen sich in allen Bereichen des kirchlichen Lebens, über 700.000 in der Diakonie. 30% der Predigt-dienste in evangelischen Kirchen werden inzwischen durch Prädikanten und Lektoren geleistet. Es gilt vermehrt, Gaben zu entdecken und zu fördern.Menschen begegnen dem Evangelium nicht nur in der traditionellen Ortsgemeinde. Sie hören das Evangelium auch durch das Wirken übergemeindlicher Dienste, durch klassische Medien und Social Media: „Digitale Kirche“ wird in Zukunft eine wesentliche Form missionarischer Ausstrahlung sein. Neben kirchlichen Einrichtungen stehen viele freie Werke und Verbände, die sich als Beitrag zum evangelischen Leben verstehen. Viele haben Erfahrung in der missionarischen Arbeit, etwa der Evangelische Gnadauer Gemeinschaftsverband, der CVJM oder ProChrist. Immer deutlicher wird, dass Gemeindearbeit künftig nicht nur in klassischen Ortgemeinden stattfinden wird. In manchen Fällen wird man arbeitsteilig und mit besonderen Profilen in Regionen viel intensiver zusammenarbeiten als bisher. Neue frische Gemeindeformen werden erprobt und werden sich neben den bekannten Gemeindeformen etablieren (siehe auch die folgenden Seiten). Gerade erstellt die EKD-Synode einen Atlas solcher neuen Gemeindeformen.Die verschiedenen Handlungsfelder in den evangelischen Landeskirchen bieten vielfältige missionarische Dimensionen, die es immer wieder neu zu entdecken und zu stärken gilt.Und immerhin gilt für Deutschland: Die meisten Menschen entdecken den Glaubensweg für sich in landeskirchlichen Gemeinden.Die Lage der Landeskirchen wird sich ändern. Der Auftrag und die Zusage Jesu bleibt: „Friede sei mit euch. Nehmt hin den Heiligen Geist.

Zum Autor

Oberkirchenrat Dr. Erhard Berneburg ist Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) und Mitglied im Hauptvorstand der Deutschen  Evangelischen Allianz.