Was kann Gott uns in der Corona-Pandemie sagen?

Geistliche Leitungspersönlichkeiten zu Fragen des Glaubens und Lebens

Daniel Schneider, Offensive Junger Christen (OJC), Greifswald:

Wenn Kirche die sicheren Mauern verlässt

Wie erreicht eine Kirchengemeinde die Menschen im Stadtteil, wenn das Kirchengebäude nicht drinsteht? Diese Frage stellt man sich in der Johanneskirchengemeinde in Greifswald seit Langem, nachdem in den Siebzigerjahren das Kirchengebäude nur am Rand des zugehörigen Platten-Neubaugebiets gebaut werden durfte. Manches ist schon ausprobiert worden: ein Bauwagen als mobile Kirche für vereinzelte Open-Air-Veranstaltungen, eine Sommer-Erlebniswoche für Familien, Weihnachts-Krippenspiel vor dem ALDI. Nun machen die Corona-Auflagen möglich, was bisher nicht denkbar war: Das Gemeindehaus ist für Veranstaltungen zu klein, daher feiert die Johanneskirchengemeinde seit Mai jeden Sonntag Open-Air-Gottesdienste – auf einer Wiese zwischen Plattenbauten mitten im Kirchenbezirk!
Die Resonanz der Anwohner? Manche stehen neugierig dabei, andere hören vom Balkon aus zu – Beschwerden oder Störungen gab es bisher noch nicht. Kirche verlässt die sicheren Mauern und wagt Öffentlichkeit: Ja, Corona sei auch Dank.

 

Bischof Dr. Stefan Oster, Diözese Passau:

Gott suchen in allen Dingen!

Gott suchen in allen Dingen – dazu fordert Ignatius von Loyola seine Gefährten auf. Also: Gott suchen in der Corona-Pandemie? Wie ist er dort gegenwärtig? Wie und was spricht er darin zu uns? Als Glaubende dürfen wir zwei Dinge mit Paulus festhalten: Erstens: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4). Und zweitens: Keine Gefahr, kein Schwert, keine Macht, weder Leben noch Tod „können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,39).
Wir dürfen also glauben, dass Gottes universaler Heilswille bestehen bleibt für alle – aber zugleich sagt uns die Schrift, dass es keinen Heilsautomatismus gibt. Gottes Liebe spricht die Freiheit des Menschen an – er will eine Beziehung von Freiheit zu Freiheit, deshalb hat er uns ja auch „Freunde“ genannt und nicht Knechte (Joh 15,15).
Aber in welchen Situationen klären sich und vertiefen sich Beziehungen? Dann, wenn im Leben immer nur alles einfach dahingeht? Oder dann, wenn das Leben herausfordert, wenn es uns kämpfen lässt, wenn wir auch Leiderfahrung machen? Es stimmt: In der Not verstehen wir schon rein menschlich, wer unsere wahren Freunde sind – und wer sich davonmacht.
Ist es möglich, dass Gott durch die herausfordernden Zeiten und ihre Not erst recht dazu auffordern will, zur Besinnung zu kommen, zur erneuten Entscheidung für Ihn – und für einen zukünftigen Lebensweg, auf dem ich zuerst und vor allem aus der Freundschaft mit Ihm lebe?

 

Friedegard Warkentin, Leiterin der diakonischen Einrichtung Eser 21 (Augsburg) und Mitinitiatorin „Deutschland betet gemeinsam“:

Wo man verwurzelt ist

Eine Krise wie Corona zeigt schneller als alles andere, wo man verwurzelt ist: In Angst oder im Vertrauen. Angst führt zu ängstlicher Anpassung oder zu rebellischem Aufbegehren, Haltungen, die sich bekämpfen. Jesus ist die Wahrheit in Person, der Einzige, der das Virus kennt, einordnet und zulässt, der uns durch diese Herausforderung etwas lehren will. Der „Baum der Erkenntnis“ führt zu Lüge, zum Versteckspiel und zu gegenseitiger Anklage. Das begann schon damals im Paradies.Vom „Baum des Lebens“ zu essen heißt, auszusteigen auf dem gegenseitigen Verklagen und dem Misstrauen. Wenn Christen offen aufeinander hören, Spannung aushalten  und dem Virus der Angst widerstehen, dann nehmen sie einen guten Platz in der Gesellschaft ein. Als Christen wissen wir, dass wir keine Sekunde eher sterben als Gott es zulässt. Wir halten uns an Regeln, haben aber auch die Freiheit, sie zu hinterfragen. Ich wünsche mir, dass wir als Christen in den gesellschaftlichen „Riss“ treten und unsere Hände ausstrecken, offen zuhören und Position beziehen, ohne zu diskriminieren. Wir brauchen Persönlichkeiten, die sich nicht vergiften lassen und anklagen, sondern Verbindung schaffen, damit das gegenseitige Misstrauen dem Gottvertrauen weicht und wir als Christen eine Stimme haben, die gehört wird, weil sie Orientierung in eine verunsicherte Gesellschaft bringt.

 

Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner, Bayreuth

Der Leib Christi braucht leibliche Gemeinschaft

Mit Aussagen, was Gott durch geschichtliche Ereignisse sagen will, bin ich vorsichtig. Ich will Gott nicht instrumentalisieren für Aussagen, die mir in den Sinn kommen. Freilich teile ich gerne, was ich in der gegenwärtigen Situation in Liebe zu Gott und den Menschen wahrnehme.
• Unsere Gesellschaft hat ein hervorragendes Gesundheitssystem. Doch spielt darin die Seele eine zu geringe Rolle. Menschen darbten bis hin zur Todessehnsucht in den Seniorenheimen, weil niemand sie besuchen durfte. Und als Menschen starben, durfte in den Anfängen der Krise niemand zu ihnen, um mit ihnen und für sie zu beten. Das Heil, die Seele, die Ewigkeit sind unterrepräsentierte Themen in unserer Gesellschaft. Sie hoch zu halten ist unsere Aufgabe.
• Wir haben im Lockdown vielfach ein Gemeinschaftsdefizit erlebt, weil Abstand und Kontaktreduzierung geboten war. Das traf die Kirche im Kern. „Ohne Gemeinschaft
konstatiere ich kein Christentum“, sagte Zinzendorf. Unser Glaube trocknet ohne Gemeinschaft aus. Sie wird ohnehin zu wenig gelebt. Der Leib Christi braucht leibliche Gemeinschaft und nicht nur virtuelle. Schon in der Krise und erst recht danach wird eine der Hauptanstrengungen sein müssen, die Erfahrung christlicher Gemeinschaft zu stärken.
• Wir können auch kürzer predigen. Das war eine gute Erfahrung in der Pandemiezeit bisher. Einfach und prägnant das Evangelium in Medien und Gottesdiensten zuzusprechen, ist ein guter Weg.
• Die Armen tragen in der Welt die Hauptlast der Pandemie. Das schmerzt unseren Herrn. Gerechtigkeit ist sein und unser Thema.

 

Gerhard Proß, „Miteinander für Europa“, Leiter des „Treffen von Verantwortlichen“ und einer der Initiatoren von „Deutschland betet gemeinsam“:

Erschütterung, Gebet und Neues

Erschütterung
In der Einladung zur Vorbereitung des Christlichen Convent Deutschland *1 im Jahr 2017 haben wir u.a. geschrieben: „Wir haben den Eindruck, dass wir auf eine Zeit des ‚Rüttelns und Schüttelns‘ zugehen, eine Zeit von Prüfung, Gericht und darin ganz neuen Aufbrüchen.“ Gott erschüttert, damit das Unerschütterliche hervorkommt (Hebr. 12,28). Unser Glaube wird gereinigt, damit wir uns nicht auf falsche Sicherheiten verlassen, sondern auf das Ewige, das Unerschütterliche. Es ist ein Weckruf, um uns wach zu rütteln. Gott will uns aufrichten und ausrichten auf ihn hin.

Gebet
Gott hat uns in der Corona Krise die Machbarkeit aus der Hand genommen. Das löste einen Impuls zum Innehalten aus. In Kirchen, Gemeinschaften und Bewegungen ist eine Fülle von Gebetsinitiativen entstanden, z. B. in der Evangelischen Allianz. Die Gebetsinitiativen „Deutschland betet gemeinsam“ und „Gemeinsam vor Pfingsten“ waren eine Antwort des Glaubens auf die Erschütterung durch Corona.


Neues kommt hervor
Die Krise wirkt wie ein Katalysator, der Entwicklungen beschleunigt. Neues (Jes. 43,19) wird sichtbar, z.B.
• die Dimension des Hauses Gottes in der Familie
• die Kirche in den elektronischen Medien mit einer erstaunlichen Nähe durch Distanz.
Die Krise ist auch eine Chance, nötige Veränderungen zu gestalten. Es ist nicht die Zeit des Abwartens, sondern des Handelns und Gestaltens. Wir stehen auf der Schwelle zum Neuen!

 

*1 www.christlicherconvent.com