"... dass Christen den Geflüchteten begegnen"

Der neue Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Allianz, Herbert Putz, über kommende Herausforderungen

Seit 1. Juli ist der Theologe Herbert Putz (60) neuer Flüchtlingsbeauftragter und Referent für Migration und Integration der Deutschen Evangelischen Allianz. Der langjährige Tansania-Missionar koordiniert die Arbeit der rund 40 AMIN-Gruppen (Arbeitskreis Integration und Migration) in Deutschland mit dem Ziel, Flüchtlinge zu integrieren und das Miteinander von Christen und Gemeinden unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen zu fördern.

Herr Putz, Sie waren 18 Jahre lang als Missionar in Tansania. Welche wichtigen Einsichten haben Sie dort gewonnen?

Für uns als Familie war es eine sehr prägende Zeit. Herausstechend war sicher die Internationalität; interkulturell zu leben mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung.

Was haben Sie von Afrika mit nach Deutschland genommen?

Sicher diese Intensität interkultureller Begegnung – und damit verbunden die Einsicht, dass es auch ein Wesensmerkmal von Gemeinde Jesu ist: Die Buntheit der kulturellen Identitäten gehört dazu.

Seit Sommer 2015 stehen Flüchtlinge und die Frage des Umgangs mit ihnen ganz weit oben auf der Tagesordnung. Was hat sich seither verändert?

Oberflächlich scheint die Dramatik und Dringlichkeit abgenommen zu haben; die sogenannten „Flüchtlingsstr.me“ sind abgeebbt. Die reinen Zahlen haben auch abgenommen. Aber die Herausforderungen sind auf allen Ebenen unverändert geblieben: Es geht darum, auf die Menschen, die entwurzelt und bei uns angekommen sind, zuzugehen und sich um sie zu kümmern.

Knapp 900.000 Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Was zeichnet sich für 2017 an Herausforderungen ab?

Die neuesten Zahlen im Oktober sprechen von etwa 213.000 Menschen, die von Januar bis September nach Deutschland gekommen sind. Dann gibt es die vielen „Altfälle“ unbearbeiteter Asylanträge, die sich bei 400.00 bis 500.000 bewegen. Dahinter stehen viele, viele Menschen, die hier zwar angekommen sind, aber in einem immensen existenziellen Spannungsfeld leben, weil sie keine Klarheit darüber haben, wie es mit ihnen weitergeht. Da stehen wegweisende Entscheidungen mit völlig unsicherem Ausgang für ihr Leben an, auf die sie nur sehr begrenzt Einfluss haben – eine enorme Zerreißprobe!

Wie ist angesichts dieser vielen hunderttausend Menschen der Allianz-Arbeitskreis Migration und Integration (AMIN) aufgestellt?

Die Arbeit, die in Gemeinden für die Menschen geschieht, ist meist viel breiter als AMIN-Gruppen es widerspiegeln – die sich aber als eine Plattform der Evangelischen Allianz anbieten, wo gute gemeindeübergreifende Zusammenarbeit geschieht. In Haiger zum Beispiel arbeiten mehrere Gemeinden als AMIN-Gruppe zusammen. Aktuell leben mehr als 120 Geflüchtete in der Stadt. Für sie gibt es Mitarbeiter aus Gemeinden, die als Erstkontakt und Begrüßungsteam fungieren, andere organisieren Begegnungsfeste, die nächsten kümmern sich um eine Vernetzung mit Vereinen, um sportliche Aktivitäten für Kinder und Erwachsene zu ermöglichen, und viele andere praktische Hilfen mehr.

Was sind die wichtigsten Aufgaben in den kommenden Monaten?

Eine ganz wichtige Chance und auch Herausforderung ist, dass Christen sich aufmachen und Geflüchteten begegnen, sie ganz praktisch begleiten. Das wird durch die Sprachbarriere erschwert, viele Flüchtlinge sprechen weder Deutsch noch Englisch, viele haben nie eine Schule besucht. Das verunsichert manche Helfer, weil sie nicht wissen, wie sie miteinander kommunizieren sollen. Trotzdem ist es entscheidend, auf die Menschen zuzugehen. Dann ergeben sich viele Möglichkeiten, ihnen zu helfen, sie zu begleiten, bei Behördengängen, bei Anträgen, zu erklären, wie man Einkäufe macht oder überhaupt in Deutschland lebt. Da ist bei aller Einschränkung viel möglich.

Welche Rolle können Christen weiter in dieser Frage spielen? Sie haben das Internationale und Interkulturelle betont. Wie spiegelt sich das im Gemeindeleben wider?

Im Blick auf Gemeinde wird das sehr vielschichtig sein. Da gibt es Arabisch oder Farsi sprechende Gemeinden, wo sich Menschen erstmal mit einer ähnlichen kulturellen Identität finden. Es gibt gemischte Ansätze internationaler Gemeinden, die 30, 40 Nationalitäten vereinen. Und es gibt Gemeinden, die sich vorsichtig öffnen, erste Kontakte zu anderen Nationalitäten knüpfen und wo einzelne Menschen einen Weg in die Gemeinde finden. Es wird diese breite Palette von Gemeindeleben geben. Das Leitbild, das ich vorhin gezeichnet habe, sieht so aus: Gemeinde Jesu hat etwas von dieser Buntheit unterschiedlicher kultureller Identität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Jörg Podworny