Mein Glaube – unser Glaube

Ausgabe 3/2023

IPad Air

EiNS-Magazin 3/2023

Mein Glaube – unser Glaube

Christsein in individualistischen Zeiten gemeinschaftlich leben

Liebe EiNS-Leserinnen und Leser,

Liebe EiNS-Leserinnen und -Leser,

So sehr der Entschluss, als Christ leben zu wollen, auch eine individuelle Entscheidung ist, so sehr sind Christen hineingeordnet in die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche Jesu Christi. Das Neue Testament benutzt dafür Bilder, die ein hohes Maß an Verbindlichkeit im Miteinander signalisieren: Gemeinde als der Leib Christi, als Haus Gottes, die Herde mit Jesus als gutem Hirten, ja selbst Gemeinde als Braut Christi mit Jesus als Bräutigam. Wer sich in diese Bilder hineindenkt, wird die Schönheit und Bedeutung der Gemeinde Jesu Christi, den „Christus im Anderen“ (Bonhoeffer) entdecken. Gleichzeitig erleben wir in unserer Kultur aktuell ein hohes Maß an religiöser Individualisierung. „Ich kann auch ohne Kirche Christ sein.“ Umfragen zeigen, dass viele Menschen heute diesem Satz zustimmen. Und hier sind nicht zuerst die  Hunderttausende gemeint, die ohnehin schon in innerer und äußerer Distanz zum Glauben und zu Kirchen leben und irgendwann die Institution Kirche schlussendlich auch formal verlassen.Gemeint sind Personen, die als Christen leben wollen, aber aus unterschiedlichen Gründen frustriert sind von Kirchen, welcher Couleur auch immer. Die Gründe sind vielschichtig, sie haben sehr oft mit der als defizitär erlebten  Gemeinschaft der Glaubenden selbst zu tun. Viele entschließen sich darum zu einer Auszeit und gehen auf Abstand. Manche tiefschürfenden Fragen sind mit den immer gleichen platten Erklärungsversuchen  abgeledert worden oder man hat sich an festgefahrenen Auffassungen und Traditionen die Zähne ausgebissen. Die Pluralisierung in der kirchlichen und auch evangelikalen Welt führt zum Aufeinanderprallen verschiedener theologischer Auffassungen.  

Solo-Christsein ohne Gemeinde?

Darum ist in Deutschland die derzeit am schnellsten wachsende christliche Gemeinschaft, wie manche mit einem Augenzwinkern bemerken, die der „unchurched christians“, die „Gemeinde“ der Personen, die sich als Christen verstehen, aber ihren Glauben außerhalb von Kirchen und Frei-kirchen leben wollen. Dieses Phänomen fügt sich in einen gesamtgesell-schaftlichen Trend ein, dem unbedingten Wunsch nach Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen. Dieser Trend, Christsein ohne Gemeinde zu leben, verbindet sich mittelfristig oft mit einer „Patchwork-Theologie“, d.h. einer sehr individuellen Zusammenstellung von Glaubensüberzeugungen, häufig abseits traditioneller Glaubensbekenntnisse.

Wer das Neue Testament zur Hand nimmt, entdeckt hingegen, dass hier für das Konzept eines Glaubens in Gemeinschaft unter Jesus als dem Herrn der Gemeinde geworben wird. Wer glaubt, dass dies in einer  vermeintlich heilen urgemeindlichen Welt einfach war, den holen praktisch alle neutestamentlichen Briefe auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Neue Testament erweist sich als knochenehrliches Buch, das in aller Deutlichkeit zahlreiche Konflikte thematisiert. Aber trotz der Heftigkeit der Konflikte werfen die Briefautoren an keiner Stelle die Flinte ins Korn. Für sie ist eine Art Solo-Christsein undenkbar. Vielmehr wird auf  jeder Seite der Bibel deutlich, dass der persönliche Glaube und die Gemeinschaft der Heiligen untrennbar miteinander verwoben sind. So kann etwa die für jeden Christen maßgebliche Frucht des Geistes (Galater 5,22) nur in Gemeinschaft gelebt werden. Wer als Christ wachsen will, braucht Gemeinschaft, die oft schön und oft auch anstrengend ist. In dieser Gemeinschaft ist Jesus die Mitte. Den streitenden Christen in Rom schreibt Paulus darum ins Stammbuch: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“ (Römer 15,7). Und der Gemeinde in Ephesus, in der kulturell zutiefst unterschiedlich geprägte Menschen,  Heiden und Juden, mit allen damit verbundenen Spannungen zusammenkamen, prägt er ein: „Christus ist unser Friede!“ (Epheser 2,14)

Ich lade zur Lektüre dieses EiNS-Heftes ein.

„Mein Glaube“ soll zu einem überzeugten „unser Glaube“ werden, niemals im Sinne einer brachialen Gleichmacherei, sondern im Sinne einer wachsenden Dankbarkeit für so viele unterschiedliche, aber wertvolle Glieder am Leib Christi.

Herzliche Segensgrüße, in  IHM verbunden,

Ihr

Reinhardt Schink
Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland

2023/3 EiNS-Magazin

Mein Glaube – unser Glaube
Christsein in individualistischen Zeiten gemeinschaftlich leben


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