27.10.2019

Quo vadis, Evangelische Allianz?

Gedanken zum Zukunftsforum der Deutschen Evangelischen Allianz von Ekkehart Vetter

Ein Kommentar von Ekkehart Vetter

Die Evangelische Allianz, gegründet 1846, ist das weltweit älteste christlich-ökumenische Netzwerk, eine Einheitsbewegung. Einheit als theologisches Thema lockt heute nicht viele Leute hinterm Ofen hervor, entweder weil wir gut wahrheitspluralistisch den (theologischen) Unterschieden unter uns kaum mehr Gewicht beimessen, oder weil wir die biblische Relevanz dieses Themas nicht ausreichend realisiert haben.

Den trinitarischen Gott kann man nicht zerstritten repräsentieren
Aber wenn Jesus ein Thema auf dem Herzen lag, dann ist es Einheit. Im „hohepriesterlichen Gebet“ betet er: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Johannes 17,21- EÜ). Im Kontext dieses Gebets werden zwei absolut zentrale Aussagen deut-lich. 1. soll die Einheit der Gemeinde ein Abbild der Einheit zwischen Jesus und dem Vater sein. Die Einheit Gottes ist Grund für die Einheit der Gemeinde. Es gibt keine tiefgründigere Begründung für die Ein-heit der Gemeinde Jesu! In Jesus ist Einheit da. Den trinitarischen Gott kann man nicht zerstritten repräsentieren! Und 2. hat die Einheit einewesentliche Auswirkung: „damit die Welt glaube“.

Einheit ist Top-Priorität auf der Agenda, Jesu Herzensanliegen
Einzelne Christen, lokale Gemeinden, ganze Denominationen und Kirchen, die die Einheit nicht als Top-Priorität auf der Agenda haben, lassen ein Herzensanliegen Jesu links liegen.Es ist kein Geheimnis, dass Einheit schon in neutestamentlichenZeiten keine einfache Sache war. In fast jeder von ihm gegründetenGemeinde kämpft Paulus darum. Die Entscheidung, Jesusnachfolger „aus den Juden“ wie auch „aus den Heiden“ zu einer Gemeinde zu formen, machte Gemeinde Jesu hier und da zu einem explosiven Ge-misch. Paulus mahnt die Streithähne: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat (Römer 15,7)!

Die Einheit und die Wahrheitsfrage
Die Einheit drohte schon in biblischen Zeiten an verabsolutierten kulturellen Unterschiedlichkeiten und religiösen Traditionen zu zerbrechen, die zur Wahrheitsfrage hochstilisiert wurden. Die Fraktionen im zerstrittenen Korinth, die Frage nach Juden und Heiden mit ihren zu-tiefst unterschiedlichen Traditionen in einer Gemeinde in Rom und Ephesus – das war ein explosives Gemisch mit Spaltpotential. Auf dem Apostelkonzil fetzte man sich gründlich (Apostelgeschichte 15,7), be-vor man sich einigte. Die paulinische Grundüberzeugung bei Konflikten dieser Kategorie lautete: Christus ist unser Friede (Epheser 2,14).Derselbe Paulus wurde aber bei anderen Themen ganz und gar un-nachgiebig. Den Korinthern schreibt er z.B. im ersten Brief ein langesKapitel (Kapitel 15) aus aktuellem Anlass (Vers 12) zur Frage der Auferstehung. Hier kämpft er für die eine nicht diskutierbare Wahrheit: Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten ... (Vers 20).Die Unterschiede zwischen Kirchen sind immens. Die Situation heute ist ziemlich anders. Gemeinde Jesu ist nicht, wie in der Anfangszeit, die Summe einiger Einzelgemeinden, sondern wir haben es mit vielen großen und kleinen, (inter-)national verbreiteten (Frei-)Kirchen mit tausenden oder Millionen von Mitgliedern zu tun. Da entpuppt sich Einheit allzu oft als beschworenes Ideal, das an der Wirklichkeit scheitert. Dogmengeschichtlich ging das so: Ist Jesus nun Gott und Mensch? Wie verhalten sich Gottheit und Menschheit zueinander?Geht der Geist nur aus dem Vater hervor oder aus dem Vater und dem Sohn? Macht „allein“ der Glaube gerecht? Fragen über Fragen, die sich im Lauf der Zeiten stellten und über die heftig gestritten wurde. Heute sind die Unterschiede zwischen Kirchen immens. Heißt Einheit aber, dass eigentlich alle gleich denken müssen?

Einheitsführerschein
Der Zeitrafferdurchmarsch durch das Neue Testament mit Spots aus der Dogmengeschichte macht deutlich: Einheit war nie einfach. Sie war immer beides: Geschenk und Auftrag Jesu einerseits und defizitäre Wirklichkeit andererseits. Was lerne ich daraus für uns heute? Konkret für die Deutsche Evangelische Allianz als Einheitsbewegung?

  1. Wer Einheit will, muss auch eine gewisse Breite umarmen lernen.Aber wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Munde bekennt, dassJesus der auferstandene Herr ist, ist Schwester und Bruder. Paulus lässt grüßen!
  2. Inhaltliche Spannungen aushalten gehört zum „ora et labora“ für Einheit.
  3. Wir dürfen uns nicht erfahrungsorientiert wie ein altes streitendes Ehepaar durch Altlasten hindern lassen, neue Gemeinsamkeiten zu entdecken und gemeinsam Wegstrecken zurückzulegen. Wer sich zu Jesus Christus bekennt, gehört zu uns und wir zu ihm. „Herzlich will-kommen, liebe Charismatiker, in der Evangelischen Allianz!“
  4. Einheit ist der Freund der Wahrheit. Miteinander vertrauensvoll zureden und zu arbeiten, ist kein Verzicht auf Kritik. Aber weil die Einheit in Jesus da und gleichzeitig von ihm erbeten ist, dürfen wir sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
  5. Bevor wir Menschen, Gemeinden oder Kirchen kritisieren, müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen, ob das wirklich sein muss oder ob im Hinblick auf die viel größere Gemeinsamkeit in Prioritätsfragen zweitrangige Unterschiede stehenbleiben können.
  6. Die traditionelle Rede von „Schwestern und Brüdern im Glauben“ birgt eine tiefe Weisheit. Es sind nicht selten die Geschwister, die sich um das Erbe streiten und entzweien. Aber auch, wenn sie in Frieden den Nachlass der Erblasser regeln – meist wohnen sie nicht mehr unter einem Dach. Sie kommen zusammen, feiern, essen und reden miteinander – und gehen dann doch wieder eigene Wege, ins eigene Haus, die andere Stadt. Und doch bleiben sie auch auf Distanz „Brüder“ und„Schwestern“, die im eigenen Haus einen eigenen Stil pflegen. Es wäreschon viel gewonnen, wenn das gegenseitige Verurteilen aufhören würde – und Gott sei Dank hat es an vielen Stellen auch aufgehört. Geschwister können, müssen aber keine Freunde sein! Sich lieben im Sinne von: Gutes füreinander wollen und wünschen – das geht trotzdem.
  7. Wo theologische Unterschiede unüberbrückbar scheinen (da stehen oft Identitäten im Weg), ist es dennoch gefragt, sich zu begegnen, ein-ander zuzuhören und zu verstehen suchen, auch Klartext zu reden und Dialogbereitschaft mit langem Atem.

Einheit 3.0
Wie geht es weiter in Sachen Einheit? Der Wahrheitspluralismus hatte uns voll im Griff. Solange bis ein Shitstorm auf unbequeme Meinungsäußerungen niederprasselt. Nicht nur die zart besaiteten Gemüter wagen sich nicht mehr aus der Deckung. Überzeugungen bleiben lieber privat. Missionarische Äußerungen sind ebenfalls Shitstorm-gefährdet. Gemeinde geht gerade noch, Participation Shift (siehe Christian Schwarz) aber inklusiv. Um diese und andere Fragen ging es auch beim Zukunftsforum der Deutschen Evangelischen Allianz vom 31. Oktober bis 2. November in Hannover. Was ich – auch der Generation nach mir – wünsche, ist:
1. Liebe zu Jesus
2. Liebe zu Seiner Ur-Idee, der Kirche, Seinem Leib, Seiner Braut
3. Liebe zu Seinem Wort
4.Liebe zu Menschen, egal wer sie sind, wie sie ticken, woher sie kommen und welche Sprache sie sprechen
Mit dieser 4-fachen Liebe hat Gemeinde Jesu Zukunft!

Ekkehart Vetter
Erster Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz