Die „Pionierin“, nicht nur als erste Frau im Hauptvorstand: Hertha-Maria Haselmann


Sie gehörte zu den ersten Frauen im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und leitete ein diakonisches Werk. Zusammen mit der Diakonisse Eva-Maria Klöber (Puschendorf) und der Frauenreferentin im Bund Freier evangelischer Gemeinden, Ilse Glebe, wurde sie 1989 in den Hauptvorstand berufen. 1992 übernahm sie das Amt der Schatzmeisterin und wurde so auch zur ersten Frau im Geschäftsführenden Vorstand. Und noch immer ist Hertha-Maria Haselmann in der externen Drogenhilfe aktiv, auch wenn die 75-Jährige die Leitung im Verein vor zwei Jahren abgegeben hat. Heute kümmert sie sich vor allem um Ehemalige und springt ein, wo Hilfe gebraucht wird. Dabei wollte sie eigentlich gar nicht in Frankfurt bleiben …

Als junge Frau kam die 1944 Geborene aus ihrer norddeutschen Heimat nach Frankfurt zum Studium. Mit dem christlichen Glauben hatte sie nichts zu tun. Ihre Familie hat jüdische Wurzeln. Als sie damals durch die Stadt lief, kam sie oft an einem Haus mit Schaukasten vorbei, in dem es in großen Buchstaben hieß: „Wir lesen die Biebel“. Sie blieb stehen.

Eine Frau in Tracht kam heraus. Dass man Bibel anders schreibt, wusste Hertha-Maria Haselmann natürlich. Es entspann sich ein Gespräch, dem viele weitere folgten. Die Diakonisse war Christa Steffens. In der Zusammenarbeit mit ihr sollte die junge Frau ihre Berufung finden. Doch zunächst wurde sie beharrlich zum Bibellesen eingeladen. „Ich hab damals immer jaja gesagt. Darum weiß ich, wie das ist, wenn jemand so antwortet. Ich weiß, dann geschieht nichts. Weil ich selber so war, habe ich heute Geduld mit anderen“, denkt sie an diese Zeit zurück.

Irgendwann kam sie dann doch zum Bibellesen in die kleine Gruppe: mit drei Jordaniern und vier jüdischen Deutschen. Sie war beeindruckt von dem, was Schwester Christa Steffens aus ihrem Leben erzählte. Sie hatte in Weimar Musik und Gesang studiert, sich gegen das Nazi-Regime gestellt und war dann geflohen. So viel Verbindlichkeit beeindruckte die Zuhörer. In dieser Zeit entschied sich Hertha-Maria Haselmann für Jesus. An den Tag kann sie sich nicht mehr erinnern. Aber sie weiß noch, dass sie durch das Bankenviertel von Frankfurt lief: „Auf dem Weg blieb ich stehen. Da wusste ich, dass Jesus der Messias ist.“  Das kann sie heute noch genau formulieren. Sie wird nicht müde, es weiterzusagen. Von da an wuchs sie in die Gemeinschaft hinein, lernte das christliche Leben in allen Facetten kennen. Zuerst gab es die Teestube Lydiahaus, in die Menschen von der Straße eingeladen wurden. „Wir wollten kein Werk gründen. Aber die Menschen wollten mit uns zusammenleben“, erinnert sich Hertha-Maria Haselmann.

Es war die Zeit der Studentenproteste in Frankfurt. Häuser wurden besetzt. Man riet ihr, in eines dieser Häuser einzuziehen und Betttücher vor die Fenster zu hängen. Ein Jahr lang hat sie dort gewohnt, mitten in Frankfurt: Es war der Beginn von Haus Metanoia, des Vereins Lebenswende, einer Drogenhilfe-Arbeit mitten in der Großstadt. Das Besondere dieser Arbeit ist das Zusammenleben als christliche Gemeinschaft in einem Haus. „Es ist eine schwere Arbeit, Tag und Nacht. Die Leute brauchen es, ständig umsorgt zu werden“, beschreibt Hertha-Maria die Aufgabe, „auf diese Weise kommen Menschen heraus aus ihrer Sucht und werden Schwestern und Brüder, Menschen der Verbindlichkeit. Manche sind tätowiert von oben bis unten, aber nun treue Mitarbeiter“. Hertha-Maria Haselmanns Herz schlägt für die Menschen. Sie ist froh, dass Gott sie bisher gesund erhalten hat. Und wünscht sich, dass die christlichen Gemeinden die vielen Ehemaligen nicht fallen lassen.

Aus dem kleinen Anfang von damals entstand der Verein Lebenswende, der heute drei Häuser betreibt: das Haus Metanoia und das Haus Falkenstein in Frankfurt, sowie das Haus Dynamis in Hamburg.

Wir haben mit Hertha-Maria Haselmann über ihre Zeit im Hauptvorstand der Evangelischen Allianz gesprochen:

Hertha-Maria, wie bist du seinerzeit in den Hauptvorstand gekommen?

Das war von 1989 bis 2012. Hartmut Steeb hatte mich bald nach seinem Amtsantritt 1988 im Haus Metanoia besucht. Die Frankfurter Evangelische Allianz hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er sich unbedingt eine Initiative von zwei Frauen ansehen sollte: eine in Tracht, die andere ohne. Berufen wurde ich dann durch den Hauptvorstand.

1989 wurden erstmals Frauen in den Hauptvorstand berufen. Du warst eine von den dreien. Wie hast du das erlebt?

Die zwei anderen Frauen kannte ich noch nicht. Sie waren verhindert, und konnten bei der ersten gemeinsamen Sitzung nicht dabei sein. So nahm ich allein als Frau an meiner ersten Sitzung des Hauptvorstandes teil. In der großen Runde nur Männer: die mich fragend ansahen und mir freundlich zulächelten. Ich war Neuland für sie. Keine Theologin, keine Diakonisse, einfach nur eine junge, selbständige Frau aus dem Leben. Ich stellte mich vor, erzählte aus meinem christlich-jüdischen Hintergrund, von meinen Weltreisen, und wie mich der Messias und Heiland Jesus Christus gesucht und angenommen und in die christliche Gemeinde eingeführt hat. Und er hat mir mit Diakonisse Christa Steffens die Teestube Lydiahaus und die diakonische Drogenhilfe Lebenswende mit den drei Häusern anvertraut. Das kam an: Damit hatte ich den letzten Bruder, der noch etwas skeptisch gegenüber Frauen war, gewonnen. Dann war es der Wunsch der anwesenden Brüder, dass – auf Initiative von Hartmut Steeb – die Einrichtungen in Frankfurt und Hamburg eine Drogenhilfe der Deutschen Evangelischen Allianz wurden.


Woran erinnerst du dich zuerst, wenn du an diese Zeit denkst?

Ich war unserem Gott so dankbar, dass ich über die wachsende weltweite Drogensucht in den Sitzungen berichten durfte und welche christlichen Hilfen es gibt. So konnte ich als damalige Pressesprecherin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Lebenshilfen (ACL) auch auf die ACL-Einrichtungen in Deutschland, Schweiz und Österreich aufmerksam machen.


Welche Entscheidung aus dieser Zeit war dir besonders wichtig?

Ab und zu überfiel mich wieder große Sehnsucht nach Weltreisen wie früher und nach Menschen ohne Suchtprobleme. Gott hat mir aber die Gabe der Verbindlichkeit geschenkt. So habe ich Jesus diese Sehnsucht hingelegt, und er hat dann erneut mein Herz und meinen Verstand ausgerichtet für die Aufgaben in der Deutschen Evangelischen Allianz, in der ACL und in der Drogenhilfe in Frankfurt und Hamburg.

Was war für dich besonders spannend und was war besonders schön?

Die Entscheidung der Schwestern und Brüder, dass die Häuser in Bad Blankenburg und die Allianzkonferenzen bleiben, und auch weiter um- und ausgebaut werden sollten. Ich kannte ja schon Kauf, Aus- und Umbau in der Lebenswende, obwohl wir zwei Frauen nur Taschengeld  hatten. Aber dass nun so viele gläubige, verantwortliche Allianzleute im Hauptvorstand auch dem Ganzen zustimmten, obwohl nicht das Geld in der Kasse war, hat mich dann doch umgehauen.

Hattest du im Vorstand eine spezielle Aufgabe?

Ja, von 1992 bis 2004 wurde ich in den Geschäftsführenden Vorstand und als Schatzmeisterin berufen. Damit war ich direkt „an der Front“ mit Hartmut. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, und ich glaube, zu der Zeit auch ganz gut die Kassen gefüllt. Alle Mitglieder und deren Verbindlichkeit im Geschäftsführenden Vorstand habe ich sehr schätzen gelernt. Ich denke dabei auch besonders an Pastor Reinhard Holmer und Prediger Theo Schneider. Außerdem war ich von 1993 bis 2013 Aufsichtsratsmitglied des Evangelischen Allianzhauses und von 2005 bis 2017 Mitglied im Stiftungsrat der Evangelischen Allianz-Stiftung.

Was macht für dich Allianz aus?

Zusammenbleiben, auch in Zeiten von Geldnot und einer weltweiten Not wie dem Coronavirus, insbesondere jetzt in der Zusammenarbeit in Deutschland und Europa. Jesus Christus lebt und ist auferstanden. Das ist Beweis und Ansporn genug.

Was würdest du der Allianz heute gern sagen?

Schritt für Schritt gemeinsam gehen. Schritt halten, auch mit den Kritikern, auch mit den Schwachen. Das Ziel, den Himmel nicht aus dem Auge verlieren und dabei die Bibel nicht aus den Händen lassen.

 

Zur Autorin

Die Autorin, Margitta Rosenbaum, gehört zum Arbeitskreis „Frauen“ der Evangelischen Allianz in Deutschland und zum Redaktionskreis des EiNSMagazins.