Glaube, Hoffnung, Liebe in Corona-Zeiten

Gesellschaft, Zusammenleben, Glauben: Die Corona-Krise fordert heraus. Wir Christen vertrauen darauf, dass Gott in schwierigen Situationen mit uns ist, sagt Altbischof Walter Klaiber, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte.

Sars-CoV-2 ist vielleicht nicht die gefährlichste Krankheit. Aber sie ist äußerst tückisch und zu ihrer Eindämmung wurden weltweit Maßnahmen ergriffen, die in das öffentliche und private Leben in einer Weise eingreifen, wie wir das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Noch immer ist der Ausgang der Krise unsicher, sind die Folgen der Restriktionen für Einzelne und Gesellschaft nicht absehbar. Aber viele mögen von der Frage umgetrieben sein, was das für unseren Glauben bedeutet. Schnelle Antworten dazu sind problematisch. Auch ich ringe um eine Antwort und möchte meine Überlegungen dazu gerne teilen.
 

Liebe und Egoismus
Das Erste, was mir auffällt: Es zeigt sich in eindrücklicher Klarheit, was im Herzen der Menschen ist – Gutes und Schlechtes. Wir beobachten eine Welle der Hilfsbereitschaft. Gruppen von Schülern und Studierenden bieten Hilfe für Ältere an und organisieren das umsichtig. Andere erspüren, wo Notlagen entstehen könnten und suchen kreativ nach Lösungen.

Aber es gibt auch das Gegenteil: Leute tätigten gerade in der Anfangszeit unsinnige Hamsterkäufe, ließen Anderen nichts für den täglichen Bedarf oder klauten sogar Klopapier, Seife und Desinfektionsmittel in Kliniken, wo es denen fehlte, die es nötig brauchten. Was ist der Mensch? Fähig zur Liebe und bedroht durch schieren Egoismus.
Was jetzt passiert, zeigt auch, wie verletzlich das System ist, auf dem unsere Gesellschaft beruht. Globale Vernetzung ist nicht nur Chance, sondern auch Gefahr. Vieles, dessen Funktionieren wir für selbstverständlich halten, ist eben nicht so selbstverständlich. Die Frage stellt sich: Worauf können wir uns verlassen und worauf unser Leben
bauen?


Was bedeutet das für unseren Glauben?
Das führt zur entscheidenden Frage: Was bedeutet die Situation für unseren Glauben, was sagt sie uns über Gott? Manche werden fragen: Warum lässt Gott es zu, dass sich solch ein gefährlicher Krankheitserreger ausbreitet?
Andere werden es als Zeichen der Endzeit sehen, für die die Ausbreitung von Seuchen vorhergesagt ist. Aber es hat in der Geschichte der Menschheit schon viel gefährlichere Epidemien gegeben. Dennoch bleibt die Frage: Hat Gott dieses Virus erschaffen, um uns damit eine Lektion zu erteilen? Ein Tübinger Pfarrer hat vor einiger Zeit im Blick auf solche Fragen einen Satz gesagt, der mich seither begleitet: „Ich glaube nicht, dass Gott meine Tochter hat sterben lassen, um mir eine Lektion zu erteilen. Aber ich habe durch diese Erfahrung sehr viel gelernt, was mir bis heute wichtig ist.“ Dass tödliche Viren entstehen, gehört zu dem Ineinander von Leben und Tod, das Gott in seine Schöpfung gelegt hat. Weil wir wissen, dass Gott hinter all dem steht, können auch schwierige Erfahrungen für uns zur Botschaft und Aufgabe werden. Jemand sagte zu mir: „Ich muss immer wieder an den Turmbau zu Babel denken.“ Die Türme einer boomenden Ökonomie scheinen in unserer Zeit in den Himmel zu wachsen – aber die Frage, wie stabil ihr Fundament ist, wird durch diese Ereignisse an alle von uns gestellt.

Worauf vertrauen wir?
Darauf, dass die Börsenkurse kontinuierlich in die Höhe gehen oder darauf, dass unser Leben bei Gott geborgen ist? Die Treue Gottes und seine Liebe zeigt sich nach der Botschaft der Bibel eben nicht darin, dass immer alles glatt geht, sondern darin, dass wir auch in schwierigen Situationen darauf vertrauen dürfen, dass Gott mit uns ist und uns Kraft gibt, auch die Krise zu durchstehen.
Aber wo unsere Versuche, Antworten zu finden, scheitern, können wir beten und Gott bitten um
• Glauben und Vertrauen, dass er mit uns ist, wenn uns die Krankheit trifft oder vieles zerbricht, worauf wir uns bisher verlassen haben. In ihm sind wir geborgen, er wird Hilfe schenken.
• Hoffnung und Zuversicht, dass es Wege aus dieser Krise geben wird. Manches wird danach anders sein. Aber vielleicht liegt in der Krise auch die Chance für neue Wege des Miteinanders.
• Liebe, die unseren Egoismus überwindet, die unvermutet zwischen Menschen aufblüht, weil er sie schenkt, und die im Nehmen und Geben mein Leben und das Anderer erfüllt.

 

Walter Klaiber ist Altbischof der Evangelischmethodistischen Kirche. Er lebt im Ruhestand in Tübingen. Dieser Artikel erschien zuerst im methodistischen Magazin „unterwegs“ 9/20. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung)