Sprachfähig?

Ausgabe 1/2023

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EiNS-Magazin 1/2023

Sprachfähig?

Wie Christen heute (öffentlich) von Jesus reden können

Liebe EiNS-Leserinnen und Leser,

Liebe EiNS- Leserinnen und -Leser,
spätestens seit der Titanic wissen wir, dass das Entscheidende nicht
sofort erkennbar ist, sondern im Verborgenen liegt. „Sprachfähig
sein“ ist das Thema dieses Heftes. Dazu gibt es hilfreiche Tipps, aber
wir bleiben nicht an der Oberfläche stehen, sondern richten unseren
Blick auch „unter die Wasserlinie“ des unmittelbar vor Augen Liegenden.
So sind wir „immer darauf vorbereitet“, sprachfähig zu sein. Für
eine „klare Antwort“ brauchen wir überzeugende Begründungen.
Was „überzeugend“ und „klar“ ist, hängt dabei auch vom Kontext und
der Denkwelt meines Gesprächspartners ab. Beides ist mir weitgehend
verborgen. Ob eine Kommunikation gelingt oder wir „Schiffbruch“
erleiden, können wir durch unsere Bereitschaft beeinflussen,
hinter das vordergründig Sichtbare zu schauen – auch wenn dies mühevoll
ist. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Diese scheinbar triviale Aussage ist eine wesentliche Erkenntnis
des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein. Nach längerem Schweigen
entgegnete ihm ein Kollege: „Worüber man nicht sprechen kann,
darüber muss man stottern.“ Man mag über den sprachphilosophischen
Disput schweigen, stottern oder lächeln und ihn als nicht relevante
Elfenbein-Diskussion abtun. Die Frage aber bleibt, ob Kommunikation
wirklich gelingen kann und ein gegenseitiges Verstehen möglich
ist. Ludwig Wittgenstein vollzog in seinem philosophischen Denken
einen radikalen Wechsel: Von der Annahme, dass bei einer klaren Definition der Begriffe das Verstehen die Regel sei, hin zu der Überzeugung, dass ein Verstehen die Ausnahme, wenn nicht sogar unmöglich sei. Dies korrespondiert mit dem Wechsel der vorherrschenden Weltsicht, die wir erleben: Die rationalistische Moderne ringt um die objektive Wahrheit. Demgegenüber geht die Postmoderne davon aus,
dass es beliebig viele subjektive Wahrheiten gebe. Um sprachfähig zu sein, müssen wir die verborgene Weltsicht unseres Gesprächspartners erkennen und darauf eingehen können. Ethische Diskussionen sind
teilweise von einem radikalen Konstruktivismus geprägt, der selbst die Wirklichkeit und damit auch die Identität eines Menschen als beliebiges Konstrukt postuliert. Bei der neu aufflammenden Diskussion
des Lebensschutzes mit seiner Subjektivierung der Wahrheit und der Würde des Menschen hat dies nicht „nur“ für die Kommunikation dramatische Auswirkungen.

Verständliche Zeugen der Hoffnung

Wie können Christen in diesen unterschiedlichen Weltsichten sprachfähig
und verständliche Zeugen der Hoffnung sein? Wie kann unser
Eintreten für die Wahrheit das Denken und das Herz unseres Gesprächspartners erreichen? Je nachdem, durch welche Weltsicht er
geprägt ist, werde ich unterschiedlich argumentieren, um überhaupt
von ihm verstanden zu werden. Sprachfähig zu sein bedeutet somit
auch, an die Gedankenwelt meines Gesprächspartners anschlussfähige
Aussagen formulieren zu können.

Dies gilt nicht „nur“ für evangelistische Gespräche, sondern auch für
die innergemeindliche Kommunikation. Schmerzlich erleben wir, dass
auch Christen sich keineswegs zwangsläufig verstehen, wenn sie nur lange
genug miteinander sprechen. Ein gemeinsames Verständnis ist keine
Selbstverständlichkeit. Von einem Einverständnis ganz zu schweigen.
Wie gut ist es zu wissen, dass Gottes Wort selber die Kraft ist, die
Herzen verändert und Wahrheit offenbart. Folgen wir der Aufforderung
von Petrus, sprachfähig zu werden, um dieses lebensverändernde
Wort verständlich weitersagen zu können! Und geben wir dem
Heiligen Geist Raum, dass er dieses Wort lebendig macht, selbst wenn
es unseren Mund nur als Stottern verlässt. Denn klar ist: Schweigen ist
keine Alternative. In allem Stottern befinden wir uns mit Mose in allerbester Gesellschaft. Sein Stottern hat für den Auszug aus Ägypten gereicht.
Und der Ruf Gottes in die Freiheit wurde seit damals nicht leiser. Im Gegenteil!

Sprachfähig sein: Dies ist nicht trivial, aber unglaublich wichtig.
Um dies zu erkennen, müssen wir keine Sprachphilosophen sein. Um
es im Alltag zu sein, dürfen wir nicht ängstlich, sondern Gottes Wort
gegenüber gehorsam sein.

Herzliche Segensgrüße
Ihr

Dr. Reinhardt Schink
Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland

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