Die Bibel in der Sprache von heute

Bibel-Übersetzer, ihre Erfahrungen und Aha-Erlebnisse

Wie überträgt man die Bibel in eine Sprache, die Menschen von heute etwas sagt? EiNS hat bei drei Bibelübersetzern nach ihren Erfahrungen gefragt: Martin Dreyer („Volxbibel“), Roland Werner („das buch“) und Annette Graeber (Revidierte Lutherbibel 2016).
Warum braucht es eine moderne Bibel-Übersetzung?

Martin Dreyer // Volxbibel: Jeder, der den Missionsbefehl Jesu ernst nimmt, darf nicht vergessen: Evangelisation heißt auch übersetzen! Wenn der Messias sagt: „Gehet hin in alle Welt“, dann bedeutet das auch Übersetzungsarbeit. Denn „alle Welt“ versteht kein Deutsch, schon gar kein Griechisch oder Aramäisch. In dem Jugendzentrum, in dem ich 2004 arbeitete, verstand keiner mehr christliche Vokabeln. Der Heilige Geist war ein Schnaps, beim „Gesetz Gottes“ dachte man an die Straßenverkehrsordnung und „Gnade“ war der Name einer Band. Sprache verändert sich, jede Generation erfindet neue Begriffe, alte sterben aus. Gott kam durch Sprache den Menschen nahe. Mir war wichtig, mit der Volxbibel ein Projekt zu schaffen, das das Evangelium in einer leicht verständlichen, unreligiösen Sprache vermittelt.

Roland Werner // das buch: Ein australischer Freund fragte, ob es die Übersetzung „The Message“ von Eugene Peterson auf Deutsch gäbe. Ich erklärte ihm, dass man eine idiomatische Übersetzung, die stark mit Redewendungen arbeitet, nicht direkt übertragen kann, sondern einen eigenen deutschen Anlauf bräuchte. Da sagte er: „Dann mach du das doch!“

Mich begeistert die Bibel seit Jahrzehnten. Zugleich finden viele Zeitgenossen keinen Zugang zu diesem wunderbaren Buch, häufig auch wegen der teilweise veralteten, komplizierten Sprache. So habe ich mich eigentlich schon lange mit dem Gedanken befasst, eine eigene Übersetzung in klarer, verständlicher Sprache zu versuchen.

Annette Graeber // Lutherbibel: Nach einem Beschluss des Rates der EKD von 2010 sollte die Lutherbibel auf Texttreue gegenüber den hebräischen, aramäischen und griechischen Ausgangstexten revidiert werden. Änderungen am Bibeltext von 1984 sollten dort vorgenommen werden, wo der Text der Lutherbibel nicht den aktuellen wissenschaftlich anerkannten Urtextausgaben entspricht. Oder dort, wo die Bibelwissenschaft seit der letzten Revision zu Erkenntnissen gelangt ist, die ein verändertes Verständnis der Texte eröffnet haben.

Was war bei der Bearbeitung grundlegend wichtig?

Graeber: Die Lutherbibel wird im evangelischen Gottesdienst gelesen. Der Text muss auch dann verständlich sein, wenn man ihn nur hört. Daher wurden die veränderten Verse immer auch laut gelesen, um zu prüfen, ob die Formulierungen verständlich und auch vom Sprachrhythmus her stimmig sind. Daneben mussten die kirchenmusikalische Verankerung, die Verwendung einzelner Verse als Trau-, Tauf- oder Konfirmationssprü- che sowie die Tatsache berücksichtigt werden, dass manche Verse wichtiger Bestandteil des deutschen Sprichwortschatzes sind. Gerade Veränderungen an bekannten Stellen fallen sofort auf und führen möglicherweise zu Irritationen.

Dreyer: Man kann bei Bibelübersetzungen immer zwei gegensätzliche Schwerpunkte setzen: zwischen „sehr genau“ und „leicht verständlich“. Beides zugleich ist nicht möglich. Mir war wichtig, einen leicht verständlichen Text zu schaffen, den jeder verstehen kann, auch wenn er nicht religiös erzogen wurde. Wer das will, muss auch des Lesers Deutungsmöglichkeiten einschränken. Mit Einfügungen oder Zusätzen ist in der Volxbibel ein leicht verständlicher biblischer Text entstanden.

Werner: Ich habe direkt vom griechischen Grundtext übersetzt, keine anderen deutschen Übersetzungen zu Rate gezogen. Ab und zu habe ich anderssprachige Übersetzungen angeschaut, vor allem in verwandten germanischen Sprachen, Holländisch, Norwegisch, Englisch, gelegentlich in romanischen Sprachen. Wichtig war mir eine frische, eigene Sprache – und zugleich den Sprachfluss und Stil der biblischen Schreiber nachzuempfinden; Markus z.B. schreibt kürzer und direkter als Lukas.

Wie nähert man sich so einem Projekt?

Werner: Ausgehend vom Grundtext habe ich meist zwei, drei Varianten übersetzt, und dann, auch nach Beratung mit Freunden, eine erste Endversion erstellt. Die hat das Lektorat des Verlages angeschaut; bei mir lag danach die letzte Entscheidung. Graeber: Es gibt nicht mehr nur die eine Bibelübersetzung. Das Repertoire an guten Übersetzungen ist vielfältig. Manche Übersetzungen versuchen die Ausgangstexte genau nachzubilden, sind dafür im Deutschen etwas schwerfälliger. Andere sind freier und legen den Schwerpunkt auf die Verständlichkeit. Eine Bibelübersetzung muss und kann nicht alles gleichzeitig leisten. Und bei der Lutherbibel hat man an der klassischen Sprachgestalt festgehalten. Dreyer: Ich habe bis zu vier Bibelübersetzungen parallel gelesen, in Einzelfällen auch das Novum Testamentum Graece zur Hand genommen. Maßgabe war: So verständlich wie möglich, so genau wie nötig.

Die Überarbeitung der Bibel in der Praxis: Was ging (gut)?

Graeber: Das lässt sich pauschal gar nicht sagen. Jede Bibelstelle wurde bei der Revision einzeln bearbeitet und diskutiert.

Dreyer: Gut gingen Texte aus der Bergpredigt. Zum Beispiel bei den Seligpreisungen: Aus der ersten Fassung „gut drauf kommen die Leute, welche …“ für das Wort „makarios“ (Luther schreibt „selig sind“) haben wir später „richtig glücklich“ gemacht. Und über „Herzlichen Glückwunsch an die …“ oder „richtig austicken dürfen die“ wurde dann in der 4.0-Fassung: „göttlich glücklich sind die, …“ Eine besondere Arbeit war auch das Übertragen der 150 Psalmen, die in der Volxbibel alle gereimt sind, so dass man sie singen oder als Gedicht vortragen kann; manch ein Psalm eignet sich sogar zum Rappen …

Werner: Manche Grundentscheidungen waren weitreichend. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich immer von „Jesus dem Messias“ spreche, nicht von „Jesus Christus“. Damit will ich deutlich machen, dass auch „Christus“ oder „Messias“ kein Zeitname von Jesus ist, sondern ein Hoheitstitel. Er heißt letztlich „der von Gott eingesetzte Kö- nig seines Volkes“.

Und was ging (überhaupt) nicht oder war schwierig?

Dreyer: Im Alten Testament waren Texte schwierig, die von Kriegen und Schlachten berichten. Das ist in der Volxbibel viel brutaler als bei Luther, weil es einen so direkt anspricht: Dass Gott an einer Stelle von seinem Volk will, dass die Soldaten alles abschlachten, Männer, Frauen, Tiere, sogar Kinder – und als das Volk dies nicht tut, Gott erbost ist und sein Volk dafür straft –, das kann man heute schwer ertragen.

Werner: Etwas mühsam und auch weitreichend, war die Frage, wie Begriffe zu übersetzen sind, die teilweise durch häufigen Gebrauch fast abgeschliffen und damit in ihrer Bedeutungskraft geschwächt sind. Das Wort „Gnade“ hat heute z.B. nicht mehr den vollen Klang, der im Griechischen mitschwingt; dort hängt das Wort „charis“ („Gnade“) mit „chara“ („Freude“) ganz eng zusammen, ebenso mit „eucharistein“ („danken“). Hier habe ich neue Wege der Übersetzung gesucht, dabei auch auf den Wortklang geachtet (etwa bei Jesu Zusage „selig sind…“, die ich mit „wahres Glück haben“ wiedergebe). Denn bei Sprache wird nicht nur der Verstand, sondern auch die Seele angesprochen.

Graeber: Die größte Herausforderung war, an den Einzelstellen auf Texttreue und Verständlichkeit zu achten und zugleich im sprachlichen Profil und Vokabular der Luthersprache zu bleiben. Manchmal wurde länger über zielsprachliche Fragen diskutiert. Ein Beispiel: Sollte das Wasserfahrzeug, mit dem Jesus und seine Jünger auf dem See Genezareth fuhren, besser mit Boot oder mit Schiff übersetzt werden? Welches Bild hat man bei den Begriffen vor Augen? Am Ende hat man sich für Boot entschieden.

Was waren eigene – wieder oder neu entdeckte – „AhaErlebnisse“?

Graeber: Einer der Texte, an denen die theologische Relevanz der Revision für mich am deutlichsten wird, ist die Sturmstillung in Matthäus 8. Anders als bei Markus und Lukas wird bei Matthäus der Begriff „Beben“ verwendet (8,24). Auch an anderen Stellen ist bei Matthäus von „Beben“ bzw. „Erdbeben“ die Rede: beim Tod Jesu (27,54) und bei seiner Auferstehung (28,2). Und bei seiner Wiederkunft werden laut Matthäus 24,7 Erdbeben zu den Begleiterscheinungen gehören. Offensichtlich ist das ein wichtiges Motiv. Wenn Matthäus bei der Sturmstillung vom „Beben“ spricht, hat das einen endzeitlichen Klang. Die Geschichte illustriert damit die spätere Zusage Jesu: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (28,20). Dieser Zusammenhang war in der Lutherbibel von 1984 nicht ersichtlich; dort hieß es „Sturm“ statt wörtlich „Beben“. Dreyer: Genossen habe ich die Hiobtexte. Durch die Volxbibel kommt viel Emotion rüber, die Hiob gehabt haben muss. Auch im Neuen Testament gab es „Aha-Erlebnisse“: Etwa wenn Paulus in seinen Briefen richtig zornig wird, weil die Galater das Geschenk des Glaubens nicht kapieren wollten. Das versteht man beim Lesen der Volxbibel viel besser.

Werner: Wichtig war mir, den Heiligen Geist als „heiligen Gottesgeist“ wiederzugeben, um ihn von menschlichen Geistern abzugrenzen. Ähnliche Wortschöpfungen mit einer eigenen Frische sind bei mir die „Gotteslieder“ (Psalmen), die „Jesusbotschafter“ (Apostel) oder die „Schüler“ (Jünger).

Wie reagieren die Leserinnen und Leser?

Graeber: Im Großen und Ganzen sehr positiv. In manchen Rückmeldungen war eine gewisse Erleichterung spürbar, dass bekannte Texte nicht systematisch sprachlich modernisiert wurden. Auf dem Kirchentag in Berlin haben sich Leute dafür bedankt, dass ihr Taufspruch nun wieder so lautet, wie sie ihn als Kind kennengelernt haben. Andere wiederum hätten sich eine stärkere Modernisierung gewünscht. Wir verweisen in solchen Fällen gern auf andere, sprachlich modernere Übersetzungen.

Dreyer: Vor der Veröffentlichung gab es viel Kritik, Proteste, sogar Hass-Mails. Gemeinden riefen zum Verbrennen der Volxbibel auf. Aber unterm Strich wiegen die positiven Reaktionen weitaus mehr. Besonders in unteren Bildungsschichten, auch in der Arbeit mit Migranten, ist die Volxbibel ein unverzichtbares Werkzeug geworden. Besonders freue ich mich, wenn mir Religionspädagogen berichten, wie gut sie mit der Volxbibel im Unterricht arbeiten können. Im Sonder-, Haupt-, Realschulbereich ist die Volxbibel mittlerweile unverzichtbar.

Werner: Fast überall erzählen mir Leute begeistert, dass sie meine Übersetzung lesen und schätzen. Viele sagen, dass die Bibel für sie wieder neu – oder erstmalig – lebendig und spannend wird. Diese Reaktion freut mich sehr. Ich denke, „das buch“ ist gerade für neue Bibelleser und kirchenferne Menschen eine gute Möglichkeit, die wunderbare Botschaft dieses einzigartigen Buchs zu entdecken. Gleichzeitig finden langjährige Bibelleser neue Zugänge und eine neue Begeisterung für die Bibel.

Und heute: Liest und lebt man – nach dem Projekt – anders in und mit der Bibel?

Dreyer: Ich habe ganz unterschiedliche Phasen durchlebt. Mal wollte ich alles ganz genau wissen und hab viel in der Elberfelder gelesen. In einer anderen Phase wurde die Mc-Arthur-Bibel zu einem großen Schatz. Über Jahre habe ich die Menge-Übersetzung studiert. Ich glaube, dass der Heilige Geist sich in jeder Bibel ganz unterschiedlich ausdrü- cken kann. Der Glaube kommt aus dem Wort, aber eben nicht aus dem Buchstaben. Durch das Projekt ist mir die Bibel richtig nahe gekommen. Viele Aussagen rutschten mir aus dem Hirn in mein Herz. Und da gehört das Wort Gottes auch hin.

Graeber: Eine solch intensive Beschäftigung mit der Bibel geht nicht spurlos an einem vorüber. Ich ertappe mich häu- figer dabei, beim Hören oder Lesen des Textes als Erstes über die Änderungen nachzudenken. Und ich freue mich natürlich, wenn ich sehe, dass die neue Lutherbibel ihren Platz in vielen Gemeinden gefunden hat.

Werner: Ich achte noch stärker auf Wörter und Zusammenhänge. Und nach wie vor lese ich die Bibel für mich selbst in verschiedenen Sprachen. Und ich höre sie regelmäßig beim Autofahren, lerne dabei neue Sprachen oder vertiefe meine Sprachkenntnisse. Gerade ist Holländisch mein Renner. 

Zu den Autoren der Bibelübersetzungen

Martin Dreyer ist freiberuflicher Theologe, Suchtberater und Autor. Er gründete die „Jesus Freaks“ und ist Initiator des „Volxbibel“-Projekts.

Roland Werner ist Theologe, Sprachwissenschaftler, Bibel- Übersetzer („das buch.“) und Mitglied im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz.

Die Diplomtheologin Annette Graeber ist „Projektassistentin Lutherbibel“ bei der Deutschen Bibel gesellschaft (DBG). Die DBG hat den Prozess der Revision beratend begleitet, der Hauptanteil der Arbeit wurde von 70 Theologinnen und Theologen geleistet. Herausgeber der Lutherbibel ist die EKD.