01.10.2017

Gewichtiges Thema: Familiennachzug

Der Flüchtlingsbeauftrage der Evangelischen Allianz, Herbert Putz, über aktuelle Fragen der AMIN-Arbeit (EiNS-Ausgabe 4/2017)

Es ist ein Beispiel nur, von vielen aus unserer Arbeit im Allianz-„Arbeitskreis Migration und Integration“ (AMIN): Es zeigt, wie schwierig Entscheidungen, wie mühevoll die Wege oftmals sind – für Politik und Gesellschaft, Gemeinden und die betroffenen Menschen:

Sein Kopf sei „kaputt“, klagt Kidane1 und beschreibt damit seine grü- belnden Gedanken, die ihn in schlafarmen Nächten zerfressen und dafür sorgen, dass er im Deutschkurs einfach nicht bei der Sache sein kann. Er bekennt, dass er regelmäßig zögert, seine Frau anzurufen, weil er keine Antwort darauf hat, wann denn die Deutsche Botschaft endlich die ersehnten Visa erteilen wird und sie und die Kinder legal nach Deutschland reisen lässt. Und natürlich reicht das Geld, das er ihr schicken kann, nicht zum Leben aus, wenn sie oder eines der Kinder krank sind.

Seine Frau und Kinder hat er nicht mehr gesehen, seit er im Juni 2014 aus Eritrea fl oh. Die Jüngste wurde erst nach seiner Flucht geboren. Im Dezember 2015 hat ihm das Bundesamt (BAMF) den Status als Flüchtling zuerkannt, zusammen mit dem Recht, seine Familie nachzuholen, wenn er innerhalb von drei Monaten die Familienzusammenführung beantragt. Kidane hat einen Anwalt beauftragt und die Fristen eingehalten. Seine Frau nahm die Kinder, setzte sich nach Äthiopien ab und beantragte auf der Deutschen Botschaft mit den geforderten Identitäts- und Geburtsnachweisen die Visa. Mögliche Zweifel an der gemeinsamen Elternschaft wurden durch eine DNA-Analyse ausgeräumt. Der legale Status ihrer Ehe musste zudem durch einen Auszug aus dem Zentralregister Eritreas erbracht werden – von einer Staatsführung, die durch ihre Zwangsrekrutierungen Kidanes Flucht verursacht hat. Ehe-Zentralregister sind in vielen afrikanischen Ländern – wie in Eritrea – eher in „jüngerer Zeit“ eingeführt worden, können nur lückenhaft als legale Nachweise dienen. Ehen sind häufi g im kirchlichen oder lokal gesellschaftlichen Kontext geschlossen und auf diesem Wege als rechtsgültig anerkannt, grundsätzlich auch in Eritrea.

Schleppender Familiennachzug belastet Integration

Inzwischen sind irgendwie alle Nachweise erbracht. Nun bleibt nur … zu warten. Die wenigen Mitarbeiter der Botschaft versinken in RegelBearbeitungszeiten von zwölf bis fünfzehn Monaten, sind für Nachfragen nicht zu erreichen.

Eine Kommunikation zwischen Botschaft und zuständiger Ausländerbehörde in Deutschland besteht eher sporadisch. Viele Sachbearbeiter – so heißt es – würden sich versetzen lassen oder kündigen, wegen Überlastung.

Kidane ist zur Mitwirkung verpflichtet. Vor einem Dreivierteljahr wurde er erinnert, rechtzeitig eine Wohnung für seine Familie zu finden. Potenzielle Mietverhältnisse scheitern aber daran, dass keine Verträge unterzeichnet werden können, solange nicht klar ist, wann die Familie eintreffen wird. Sollte es kurzfristig so weit sein, wird er wohl keine Wohnung haben.

Der sich hinschleppende Familiennachzug belastet merklich Kidanes Integration. Das zugesprochene Recht, die Familie nach Deutschland holen zu dürfen, wird de facto durch die langen Verfahrenswege ausgehebelt. Der besondere Schutz von Ehe und Familie wird ihm gegenüber unglaubwürdig. Der Rechtsstaat, dem er als anerkannter Flüchtling zur Rechtstreue verpfl ichtet ist, handelt ihm gegenüber rechtsverschleppend. Seine anerkannten Gründe zur Flucht werden dadurch beleidigt, dass seine Familie nicht in einem angemessenen „Schutzraum“ sein darf. Angemessen wäre zumindest, die Verfahrenswege zu überprüfen, zu straffen, zu beschleunigen und durch zielgerichtete und deutliche Personalaufstockungen beherrschbarer zu machen.

Derzeit schöpft Kidane neue Zuversicht. Er hofft, noch vor Weihnachten seine Familie bei sich in Deutschland haben zu können. Dann wären es fast dreieinhalb Jahre, seit er Eritrea verlassen und seine Familie nicht mehr gesehen hat ...

Zum Autor

 

Herbert Putz
Referent der Deutschen Evangelischen Allianz für Migration und Integration

E-Mail: herbert.putz@ead.de

Mobil: 0172 - 3586099

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