27.02.2019

Der „Außenbeauftragte der Allianz“

Zeitzeuge Friedrich Hänssler im Gespräch mit Margitta Rosenbaum

Friedrich Hänssler (l.) beim „Gemeindetag unter dem Wort“ 1992 auf dem Stuttgarter Killesberg mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Erwin Teufel (M.), Staatssekretär Horst Waffenschmidt (2. v.l.). Rechts hinter Erwin Teufel: Hartmut Steeb, damals auch Geschäftsführer für den Gemeindetag – © Foto: privat / DEA

Seine Zeit im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz war ein Vorrecht für Friedrich Hänssler. Der Verleger ist heute 91 Jahre alt, und er weiß zu schätzen, was es bedeutet, ein Glied der weltweiten Gottesgemeinde zu sein und im Kraftfeld Christi zu stehen. Den Hauptvorstand hat er verstanden als einen Bruderbund, der Verantwortung für den Bau des Reiches Gottes übernimmt. Man dürfe nicht fliehen vor der Mitverantwortung, sondern habe gemeinsam die Entscheidungen des Tages als „Mitsorge“ zu treffen. Die geistliche Einheit und die gegenseitige Akzeptanz waren ihm wichtig. „Ich bin Allianz durch und durch“, sagt er von sich und schaut zurück auf die Familiengeschichte. Sein Urgroßvater sei ein so strenger Baptist gewesen, dass einige seiner Kinder aus Protest in die Landeskirche wechselten. Bei den Sitzungen des Hauptvorstandes habe er nicht viel gesprochen, nur dann, wenn er es für wirklich notwendig hielt. Er sah sich eher als Außenbeauftragter der Allianz. Das hängt damit zusammen, dass er über seinen Verlag viele Kontakte knüpfen konnte. Über 47 Länder hat er bereist und überall Menschen getroffen, mit denen er in Christus eins sein konnte. Dadurch bekam er einen weiten Horizont. „Allianz ist etwas Großartiges, wenn sie richtig gelebt wird“, betont er. Jedoch habe man damals ganz andere Probleme zu bewältigen gehabt als heute. An eine Zusammenarbeit mit Personen aus dem charismatischen Bereich war damals nicht zu denken, erinnert er sich. Über seine Mitarbeit staunt er im Rückblick heute noch. Gott habe ihn oft „hineingeschoben in Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte“.

Aus den USA nach Deutschland: Gebetsfrühstück für Parlamentarier

Höhepunkte der damaligen Zeit waren die Begegnungen mit Billy Graham und seine Predigt im Neckarstadion Stuttgart, mit 50.000 Besuchern. Billy Graham hat Friedrich Hänssler über zehn Mal getroffen, in Deutschland, Moskau, Paris oder Washington. Corrie ten Boom hat er den Koffer getragen. Von ungezählten Begegnungen und Kontakten weiß er zu berichten. „Allianz war immer erfolgreich, wenn sie in Einheit das Evangelium verkündigt hat“, ist sein Resümee aus vielen Begegnungen und Veranstaltungen, bei denen er verantwortlich dabei war. Anfangs habe er als junger Mann ehrfürchtig zu den betagten Persönlichkeiten aufgeschaut. Bei seiner Mitarbeit in den Gremien legte er Wert darauf, dass Evangelisation von Diakonie begleitet sein muss – als eine Möglichkeit, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Das bewegte ihn auch zur Mitarbeit bei der „Mitternachtsmission“ in Stuttgart:im Einsatz für Menschen, die auf der Straße leben. Manche von ihnen nahm er eine Zeitlang auch in sein Haus auf. Das ist die diakonische Art des Friedrich Hänssler. Aber Gott hatte noch andere Aufgaben für ihn bereit. Er war es, der seit 1979 die Idee des Gebetsfrühstücks für Parlamentarier etablierte. Auch dieser Kontakt entstand über die Verlagsarbeit. Charles Colson war einer der Hauptberater des US-Präsidenten Richard Nixon gewesen. Die Watergate-Affäre hatte ihn ins Gefängnis gebracht: Es war die Wende in seinem Leben, er fand zu Christus. Im Hänssler-Verlag erschien seine Geschichte unter dem Titel „Der Berater“. Es entstand eine intensive Freundschaft. Colson lud Friedrich Hänssler und seine Frau 1977 zum Internationalen Gebetsfrühstück nach Washington ein. Die gelebte Einheit von Glauben und Leben beeindruckte das Ehepaar. Staunend erfuhren sie, dass in Amerika regelmäßig für Deutschland gebetet wird und man sich wünschte, dass auch in Deutschland eine solche Gebetsbewegung beginnt. Ein Jahr später reisten die ersten deutschen Parlamentarier aus Bundes- und Landespolitik zum National Prayer Breakfast, im Jahr darauf wieder, unter ihnen Manfred Wörner, der spätere Nato-Generalsekretär, und Rudolf Decker, Mitglied des Landtags in Baden-Württemberg. Decker nutzte seine Kontakte und begann 1979 das regelmäßige Gebetsfrühstück mit Abgeordneten des Landesparlaments. Im Jahr 1981 fand das Gebetsfrühstück erstmals mit Abgeordneten des Bundestages in Bonn statt. Heute gibt es diese Arbeit in acht Landesparlamenten und im Bundestag in Berlin. Bis 2016 ließ Friedrich Hänssler es sich nicht nehmen, den Politikern dabei einen geistlichen Impuls zu geben. 300 bis 400 politisch Engagierte kommen zur Berliner Begegnung, die einmal im Jahr stattfindet. Gerne nutzte Hänssler die Gelegenheit, an dieser Stelle von dem zu sprechen, was ihm wichtig ist. „Die Leute wollen Evangelium, nicht Wischiwaschi. Ich habe in aller Bescheidenheit ein klares Evangelium verkündigt“, sagt er. Zugleich konnte er viele Kontakte knüpfen.

(Lieder-)Bücher für Christen in der DDR

Es war Friedrich Hänssler immer ein Anliegen, auch die Menschen in der DDR mit guter Literatur zu versorgen. Auf der Leipziger Buchmesse war der Stand des Verlages der Treffpunkt der Christen. Während gegenüber, am Stand des staatlichen Verlages für Marxismus-Leninismus, gähnende Leere herrschte, drängten sich hier die Leute. Viele erzählten ihre Geschichte, wie sie als Christen in der DDR Leid oder Gefängnis erdulden mussten. Zeitweise gelang es, das Liederbuch „Jesu Name nie verklinget“ ganz offiziell in die DDR einzuführen. „Weil sie nicht verstanden hatten, was in den mit Stahlband verschlossenen Paletten drin war“, schmunzelt er heute. Schnell hatte der Verleger verstanden, dass er mit zwei verschiedenen Stellen verhandeln musste, die unterschiedliche Ziele verfolgten: Von politischer Seite sollte kein Gedankengut über die Grenze kommen, das den Sozialismus gefährdete. Aber die wirtschaftlichen Interessen waren stärker. Man wollte gute Umsätze machen. Paletten mit Liederbüchern durften ganz offiziell geliefert  werden. Mutige Buchhandlungen wagten es, die Bücher zu bestellen und regulär zu verkaufen. Im Gegenzug musste der westdeutsche Verlag Bücher aus der DDR abnehmen. Das kam vor allem dem Harfe-Verlag und der Druckerei in Bad Blankenburg zugute. Aber die Sache nahm ein jähes Ende, und das hatte mit der Allianzkonferenz in Bad Blankenburg zu tun. Auf dem Heimweg sangen Jugendliche in der Bahn aus den Liederbüchern, als ein Beamter der DDR entdeckte, was eigentlich darin stand. Danach wurden die Bücher nicht mehr ausgeliefert. Ein Beamter erzählte dem Verleger später, dass die letzte Palette an der Grenze verbrannt und damit unschädlich für die DDR gemacht wurde. Bei seiner nächsten Reise zur Buchmesse wurde Friedrich Hänssler zuerst in einem Keller der Stasi verhört, später erhielt er ein Einreiseverbot. Zwölf Jahre durfte er nicht in die DDR reisen. Das hielt ihn nicht davon ab, andere Wege zu suchen, Bücher in den Osten Europas zu bringen. Als Vorsitzender des Württembergischen Brüderbundes war er Spezialist für Freizeiten in Jugoslawien: das einzige Ostblockland, in das er einreisen durfte. Bei den Reisen hatte das Auto einen doppelten Boden, in dem Bücher eingeführt wurden. „Gott hat mich da hineingeschoben als seinen Diener“, schaut er auf seine vielfältigen Aufgaben zurück – und empfindet ein Vorrecht, mit seinen Gaben Allianz und damit Reich Gottes zu bauen.