28.02.2019
Europäische Allianz: „Refugee Highway Partnership“
Herbert Putz: Bericht vom „Round Table“-Treffen in Sarajevo
Der jährlich tagende Runde Tisch der Refugee Highway Partnership (RHP) im Rahmen der Europäischen Allianz kam vom 4. bis 8. Februar 2019 in Sarajevo, der Hauptstadt Bosniens und Herzegowinas, zusammen. Herbert Putz, Referent für Migration und Integration der Deutschen Evangelischen Allianz, schildert seine Eindrücke:
Für zehn Minuten sitzen wir uns in der Trebević-Seilbahn in Sarajevo gegenüber. Ein Ehepaar, beide Anfang Fünfzig, sind nach 27 Jahren erstmals wieder zu Besuch in ihrer bosnischen Heimat. Sie sprechen gut Deutsch, denn seit ihrer Evakuierung während der ersten Tage des Bosnienkrieges 1992 fanden sie Zuflucht in Österreich. Er kämpfte auf Seiten der Sarajevo-Verteidiger, wurde durch ein gegnerisches Gewehrgeschoss getroffen, das seinen linken Oberschenkel zertrümmerte. Mit Hilfe der Vereinten Nationen wurde er ausgeflogen und seine körperlichen Verletzungen durch eine Serie von Operationen im Krankenhaus in Linz wieder hergestellt. Während der Talfahrt und während er erzählt, während sein Blick über die Hänge der umsäumenden Gebirge und die Stadt wandert, während er bestimmte Orte ausmacht, mit denen sich persönliche Ereignisse verbinden … ist der Mann emotional stark aufgewühlt. Unsere wenigen gemeinsamen Minuten sind ungemein intensiv und entfalten einen Moment therapeutischer Kraft.
Hier am Trebević – in der Nähe der Bergstation – gab es das erste Opfer der Belagerung Sarajevos, die am 2. März 1992 begann. Von hier oben befehligten die bosnisch-serbischen Kommandeure Ratko Mladić und Radovan Karadžić ihre Einheiten. Beide wurden 2017 und 2016 vom Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft bzw. vierzig Jahren Gefängnis verurteilt – auch wegen der Belagerung Sarajevos: mit 1.425 Tagen – fast vier Jahren(!) – die längste Belagerung des 20. Jahrhunderts. Und die Lage der Stadt in der Ebene, umzingelt von Höhenzügen, lassen mehr als erahnen, wie geeignet diese Geographie für einen perfiden Kriegsgegner ist, der mit Scharfschützen und schweren Waffen fast alles einsehen – und abschießen – kann. Erst das wachsende Eingreifen der NATO unter UN-Mandat beendete den unbarmherzigen Klammergriff um die Stadt.
Gründe für Flucht und Vertreibung
So schärft Sarajevo und der Kampf um die Unabhängigkeit Bosnien und Herzegowinas den Blick für ursächliche Gründe für Flucht und Vertreibung. Viele haben damals Gefahren, eine unheimliche Spannung und die Angst ausgehalten, die die zermürbende Belagerung und ein Bürgerkrieg bedeuteten, der jeden jederzeit treffen konnte. Und wahrscheinlich waren viele der denkbaren und geplanten Fluchtrouten durch plötzlich zu Feinden gewordenen Mitbürgern unsicher und verstellt. Deshalb mussten Menschen – ums Verrecken – einfach aushalten. Und denen sich ein Fluchtweg eröffnete und die mit ihren erkennbaren und verborgenen Verwundungen weit weg anerkannten Schutz fanden, brauchen Jahre und unsagbar lange Wege für eine mögliche Rückkehr in ihre Heimat. Es ist eine Herausforderung, hieraus zu lernen und an die Bekämpfung von Fluchtursachen zu denken. In den Neunzigern führte die Entwicklung zu einem militärisch erzwungenen Frieden. Mehr als 200 Teilnehmer kamen jüngst beim 17. Treffen des Runden Tisches zusammen, der sich jedes Jahr in einem anderen europäischen Land trifft. Was im Jahre 2002 als kleine Tischrunde begann, findet wachsende Resonanz und Vertrautheit. Bei den Treffen geht es nicht um gemeinsame europaweite Programme, sondern um gemeinsames Lernen, darum sich auszutauschen, immer wieder den Blick zu schärfen, auch darauf, dass flüchtende und geflüchtete Menschen Christus kennenlernen.