Ausgabe 2/2021
Eine neue Gestalt von Kirche?
Liebe EiNS-Leserinnen und Leser,
der 19. September 2013 war der Wendepunkt. Bis zu diesem Tag lag das Oracle Team USA beim 34. America’s Cup weit abgeschlagen hinter ihrem Konkurrenten. Das Emirates Team Neuseeland benötigte nur noch einen Sieg, um bei dieser ältesten Segelregatta den prestigeträchtigen Wanderpokal mit nach Hause zu nehmen. Eine Katastrophe aus Sicht der USA, hatten sie die Regatta doch seit Beginn so häufig gewonnen, dass sie bis 1983 den „Wanderpokal“ fest in ihrer Vitrine angeschraubt hatten ... Doch an diesem Tag begann eine der erstaunlichsten Aufholjagden im Segelsport. Das Oracle Team USA gewann alle neun folgenden Rennen und verteidigte den Cup mit einem denk-bar knappen 9:8-Gesamtsieg. Was war geschehen? Oracle hatte seine ganze Expertise als IT-Firma genutzt und 250 Sensoren im Boot installiert, die in einer Sekunde 40.000 Datenpunkte generierten. Pro Segeltag wurden bis zu 500 Gigabytes ausgewertet, um die Performance des Bootes zu verbessern. Eine aufwendige, herausfordernde Arbeit, die spätestens ab dem 19. September 2013 beeindruckende Resultate erzielte. Dabei gelang es dem Team sogar, dreimal schneller als der Wind zu segeln. Manche Beobachter fragten sich angesichts der auf Tragflügeln übers Wasser schießenden Boote erstaunt, ob dies noch „Segeln“ oder schon „Tiefflug“ sei.
Mir gefällt diese Geschichte, auch weil sie aktuelle Entwicklungen im Reich Gottes illustriert. Keine Frage, gesellschaftlich erleben wir seit Corona eine krisenhafte Entwicklung. Wir fühlen uns abgehängt, auch in christlichen Gemeinden. Wenig scheint vorwärts zu gehen, Land ist kaum in Sicht. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Wir brauchen keine 250 Sensoren zu installieren, aber wir brauchen uns als Geschwister, um zu erkennen, was jetzt notwendig ist und zu welchen Kurskorrekturen uns Gott ruft.
Den Sensoren trauen?
Weil es sich lohnt, genau hinzuschauen, haben wir in der Evangelischen Allianz den ZukunftsProzess gestartet. Wir wollen umfassend wahrnehmen, denn es geht nicht darum, einzelne Teilbereiche zu maximieren, sondern das gesamte Netzwerk zu optimieren. Zwischen beidem liegt ein himmelweiter Unterschied. Wir bauen nicht an unseren eigenen kleinen Fürstentümern, sondern lassen uns von Gott gemeinsam gebrauchen, dass Er sein Reich baut. Wie ein Segelboot nur als Ganzes über die Ziellinie fährt, gewinnen wir unser Rennen entweder gemeinsam oder gar nicht.
Bei den Wahrnehmungen geht es nicht darum, Erkenntnisse um ihrer selbst willen zu erlangen. Sie entfalten ihren Wert in der Anwendung. Durch sie werden oft Veränderungen angestoßen, die uns zunächst viel-leicht gar nicht einsichtig sind. Für den Skipper auf dem Oracle-Boot war es eine große Herausforderung, nicht mehr nur nach seinen Erfahrungswerten zu steuern, sondern bei seinen Entscheidungen auch die neu gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Aufgrund seiner überragenden Segelkenntnisse und langjährigen Erfahrung hatte er die Verantwortung für das Regattaboot übertragen bekommen – und nun sollte er den Sensoren und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen trauen? Aber es hat sich gelohnt, dass er sich von den eigenen, bis-her gemachten Erfahrungen nicht begrenzen ließ. Auch wenn es intuitiv unmöglich erscheint, ist es doch möglich, schneller als der Wind zu segeln.
Es könnte sein, dass Gott uns in dieser Zeit zu Ähnlichem ruft und dabei ist, etwas Neues wachsen zu lassen – und dass dies eventuell Züge eines Paradigmenwechsels trägt. In diesem Fall könnte das Neue im bislang bestehenden Paradigma noch nicht richtig erkannt und noch viel weniger beschrieben werden. Aber geht es nicht vor allem darum, dass wir Gottes Reden wahrnehmen und verstehen? Uns rufen lassen und dann gehorsam sind? Anstatt uns auf falsche Nebenkriegsschauplätze locken zu lassen, versuchen wir im vorliegenden EiNS-Magazin die großen Linien wahrzunehmen. Nicht, dass wir schon alles verstanden oder gar ergriffen hätten, aber wir jagen ihm nach. Gemeinsam, denn wir ergänzen uns, ganz so wie die 250 Sensoren in dem Regattaboot. Gehen Sie mit uns auf Entdeckungsreise, auch wenn es rasant wird!
Dr. Reinhardt Schink
Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz
Beiträge der aktuellen Ausgabe:
2021/2 EiNS-Magazin
Eine neue Gestalt von Kirche?
Wie Evangelische Allianz und Gemeinden zukunftsfähig bleiben