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„Schließen Sie Politiker in Ihre Fürbitte ein!“
Martin Knispel, „Wertestarter“: Wie mein Bild von Politik sich verändert hat
Seit drei Jahren lebe und arbeite ich in Berlin. Und diese drei Jahre haben mein Bild von Politik, vom Engagement für die Politik und der Verantwortung von Christen für die Politik gründlich verändert.
Einleitend ein paar erklärende Sätze zu meinem beruflichen Hintergrund: Ich bin als Geschäftsführer für die „WERTESTARTER gGmbH“ innerhalb der Stiftung für christliche Wertebildung tätig (www.wertestarter.de). Als solche fördern wir Bildungsprojekte in den Bereichen Kita, Schule, außerschulische Jugendarbeit und Mitarbeiterförderung. Als Netzwerker habe ich von Anfang an Kontakte zu den Mandatsträgern im Bundestag aufgebaut. Wir sind nicht zufällig in Berlin; vielmehr ist uns wichtig, unsere Projekte und unsere christlichen Werte mit Politikern und Verantwortlichen aus der Wirtschaft in Kontakt zu bringen.
Was habe ich gelernt?
Es gibt sie, die christlichen Politiker!
Nicht nur im parlamentarischen Gebetskreis oder in der ökumenischen Andacht – auf unterschiedlichsten Ebenen nehmen Christen als Berufspolitiker ihre Verantwortung war. Doch die Vorstellungen im Land über Christen in der Politik sind teilweise abstrus. Da werde ich pauschal gefragt: Gibt es da überhaupt „ernstzunehmende Christen“? Halten die auch Gebetsgemeinschaft? Kann man als Christ denn überhaupt in einer anderen Partei als den beiden C- Parteien sein?
Viel zu oft werden eigene Vorstellungen aus dem Horizont der Gemeinde oder der Gemeinschaft auf andere übertragen. Wenn Christen dann diesem Bild nicht entsprechen, fallen sie durch die Maschen.
In meinen Begegnungen habe ich verblüffende Entdeckungen gemacht. Ein katholischer CDU-Abgeordneter, der in vielen Jahren keine einzige Frühmesse in der katholischen Akademie verpasst hat, sagt: „Und wenn es nachts noch so spät wird, Donnerstagfrüh bin ich auf der Matte! Da gibt es nichts zu rütteln.“ Ein grüner Abgeordneter hat eigene Predigten und Andachten auf seiner Homepage abgelegt und schickt mir per SMS seine letzte Predigt. Ich lese sie durch und denke: Da kann mancher Theologe noch etwas lernen. Ein prominenter Politiker der Linken erzählt mir von seinem Gottvertrauen in schwerer Zeit und wie sein Glaube ihn durchgetragen hat.
Es gibt sie, die aktiven Christen, vermutlich in jeder Partei. Nicht jeder trägt seinen Glauben vor sich her, nicht jeder engagiert sich gleich stark. Aber wenn sie unter sich sind und miteinander beten, dann werden die Unterschiede kleiner, weil der Glaube sie verbindet.
Christen mischen mit – andere aber auch!
Wir haben in Deutschland formal eine Trennung von Kirche und Politik. Das ist gut so. Wer möchte schon zurück ins Mittelalter, wo die Kirche sich in das Leben des Bürgers einmischte? Dennoch sind beide im Staatskirchenvertrag anein-ander gebunden, selbst die Präambel des Grundgesetzes bezieht sich auf Gott: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Deshalb müssen Christen in der Politik ernst genommen werden, wenn sie ihre Stimme erheben. Aber – wir müssen auch bedenken, dass sie in erster Linie als Vertreter einer Partei für die konkreten Interessen ihres Wahlkreises von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurden. Diesen beiden Instanzen, der jeweiligen Partei und dem Wahlkreis, ist jeder Abgeordnete verpflichtet. Für sie übernimmt er Verantwortung, für sie steht er ein, ihre Interessen haben er oder sie zu vertreten. Christen werden ihren Glauben dabei einbringen, wohlwissend, dass dies mit anderen Interessen kollidieren kann. Christliche Politiker sind keine Kirchenvertreter, vielmehr Jünger Jesu in einer besonderen Verantwortung für das Land. So müssen sie oft Interessen abwägen, Kompromisse eingehen und möglichst gut mit den Kollegen anderer Parteien zusammenarbeiten. Sonst werden sie als Christen auch nicht mehr gehört.
Urteile nur, wenn du etwas davon verstehst!
Ich habe gelernt, dass viel zu schnell geurteilt und beurteilt wird. Wir Bürger haben in einer demokratischen Gesellschaft die Pflicht, uns einzumischen und uns auch auseinanderzusetzen. Das erfordert aber ein Mindestmaß an Wissen und Sacherstand. Viele haben das nicht und picken sich ihre Informationen aus den Überschriften der Zeitung heraus. Kleiner Tipp: Nehmen Sie sich einmal die Homepage des Bundestags vor (www.bundestag.de)! Suchen Sie ein Thema heraus, das Sie interessiert und lesen Sie dazu, was Sie dort finden. Sie werden entdecken: Die Themen sind komplex, Lösungen sind oft nicht eindeutig zu haben. Und in der Regel muss man abwägen, welches Interesse schwerer wiegt.
Unpolitisch sein geht in einer Demokratie nicht!
In Zeiten des Neuen Testaments stellte sich diese Frage in der Regel nicht, ob man politisch aktiv sein wollte. Man lebte in Theokratien und Diktaturen. Mitbestimmung stand nicht auf der Tagesordnung. Unsere Demokratie heute fordert dies aber ein. Denn Demokratie heißt übersetzt „Herrschaft des Volkes“. Jeder Bürger soll wählen und sich einbringen, wo er kann. Wenn wir es nicht tun und nicht aus unseren Gemeindehäusern in die Mitte der Gesellschaft gehen, dann tun es andere und prägen die Zukunft der Gesellschaft. Wollen wir das?
Martin Luther unterhielt eine rege Korrespondenz zu den damaligen Regenten. Er gab Ratschläge und ermahnte, wo er es für nötig hielt. Er mischte sich ein. Im frühen Pietismus gab es ebenfalls die deutliche Tendenz, politisch Einfluss zu nehmen. August Hermann Francke hatte kein kleineres Ziel als die Welt zu verändern, indem er am Einzelnen ansetzte. Er führte viele Ideen Luthers weiter und prägte eine ganze Generation durch Bildung und Chancengerechtigkeit, indem auch junge Mädchen bei ihm eine Schulbildung bekamen, was in dieser Zeit ungewöhnlich war. Seine Arbeit hatte Auswirkungen bis nach England, Dänemark und Russland.
Man könnte noch viele Beispiele anführen, wo Christen Verantwortung übernommen haben: sei es Wilberforce bei der Abschaffung der Sklaverei, Bonhoeffer im aktiven politischen Wiederstand oder Martin Luther King in seinem Kampf gegen die Rassentrennung in der USA. Allen ist eines gleich: Diese Menschen sahen eine von Gott gegebene Verantwortung, sich für die Menschen und die Verbesserung ihrer Lebensumstände einzusetzen. Nichts anderes bestimmt das Anliegen der Politik in einem demokratischen Staats-wesen.
Sprechen Sie Politiker an!
Ich habe in meinen Begegnungen mit Abgeordneten des Bundestages interessante, aber auch bewegende Erfahrungen gemacht. Am Ende eines Gespräches sagte ich einem Abgeordneten: „Wir beten für Sie. Sie sind nicht allein.“ Die Dankbarkeit, die mir aus seinen Augen entgegenkam, war berührend. „Sonst wollen alle immer etwas von uns, jeder hat ja sein berechtigtes Anliegen. Aber dass Sie für uns beten, ist schön, wir brauchen das.“
Reden Sie mit Politikern und gehen Sie auf sie zu! Jeder Abgeordnete hat in seinem Wahlkreis eine Sprechstunde oder einen Stammtisch. Gehen Sie hin! Übernehmen Sie Verantwortung als Bürger und Christ. Und schließen Sie diese Menschen, die ja auch fehlbar und angefochten sind, in ihre Fürbitte ein! Auch das ist ein Stück Verantwortung, die wir ihnen schuldig sind.
Zum Autor
Dr. Martin Knispel schrieb zusammen mit dem Journalisten Norbert Schäfer ein Buch mit und über christliche Politiker. „Berliner Gespräche. Politiker über Glauben, Werte und Verantwortung“ (Francke Verlag, Marburg). Das Vorwort schrieb Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier.