"Es ist immer Fortsetzungsgeschichte"
Persönlich und geistlich: Vater und Sohn über ihre Berufung
Michael Höring:
Vom Gehweg auf die Kanzel
Berufung, die erste
Falls der Gehweg inzwischen nicht asphaltiert wurde, könnte ich wohl noch die Gehwegplatte finden, über die ich ging, als so etwas wie Berufung erstmals in mein Leben trat.
Ich war siebzehn und ein paar Tage vorher von der Allianzkonferenz aus Bad Blankenburg nach Hause gekommen. Dort hatte ich zwei Jahre zuvor eine bewusste Entscheidung getroffen, Jesus nachzufolgen. Seither nehme ich von dort immer gute geistliche Impulse mit nach Hause. Ich komme nicht aus einer typischen Gemeindefamilie. Meine Großmutter nahm mich mit zu den Gottesdiensten. Das letzte Schuljahr hatte begonnen. Danach sollte es zum Studium nach Dresden gehen. Da traf es mich blitzartig.
Im Rückblick sehe ich, dass einiges in mir vorbereitet war. Ein persönliches Erlebnis hatte mich emotional aufgekratzt. Andererseits ging es unter uns Schulkameraden dauernd ums Studium und beste Ausschichten für eine Karriere. Was ich mit meinem Leben erreichen wollte? Das war mir noch völlig unklar. Der „Blitz“ brachte es auf den Punkt: Könnte es sein, dass nicht ich, sondern Jesus etwas mit meinem Leben erreichen möchte? In diesem Moment hörte ich gedanklich die persönliche Anrede: Stell dich Jesus ganz zur Verfügung! Mehr war zunächst nicht.
Ich teilte das unserem Pastor mit. Er hatte sich das schon gedacht: „Solche wie dich schicken wir zur Ausbildung, die werden Pastoren.“ Ich habe dagegen nichts einwenden können. Damals dachte ich: Wenn Jesus es will, dann wird es so werden. Wenn er es nicht will, dann wird er es verhindern. Mit dieser Einstellung bin ich bis heute in vielen Fragen gut gefahren.
Viele Erlebnisse und Begegnungen haben später diesen Ruf bestätigt. Auf einem Jugendtag hörte ich erstmals Theo Lehmann predigen. Er sprach über Abraham, der nach Gottes Ruf auszog, ohne genau zu wissen, wohin. Das sprach mich ungeheuer an. Abraham wurde mir zu einem guten Freund, der immer wieder Mut macht.
In der DDR-Zeit herrschte damals Unsicherheit: Könnten Gemeinden auch weiterhin Pastoren anstellen? Darum musste vor der theologischen Ausbildung ein „richtiger“ Beruf erlernt werden. Aber wo sollte ich eine passende Ausbildung finden? Eine Frau aus unserer Gemeinde drückte mir nach einem Gottesdienst einen Umschlag in die Hand. Sie arbeitete in der Personalabteilung der Post. Sie war erst spät Christ geworden und hatte schon vorher die leitende Position erreicht, die ihr als Christ wohl verwehrt geblieben wäre. Im Umschlag befanden sich Unterlagen für einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Ich bekam, was ich brauchte, quasi „frei Gemeindehaus“! Jesus sorgte dafür, dass es weiterging. Er hat seine Leute überall an der richtigen Stelle.
Berufung, die zweite, dritte, vierte …
Man erlebt Berufung auf verschiedenen Ebenen des Lebens, mit unterschiedlichen Facetten. Sie ist für mich immer Fortsetzungsgeschichte. Nach der grundsätzlichen Berufung folgte für mich die Berufung zunächst einen Beruf zu erlernen, danach die Berufung zur Pastorenausbildung und dann in den ersten Gemeindedienst. Erstmals entschied ein Gremium von Menschen, die Leitung des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in der DDR, über den nächsten Schritt meines Lebens. Geistliche Menschen zwar, aber auch das wollte bewusst als Berufung von Gott angenommen sein. Zu jeder meiner Berufungen gäbe es viele Geschichten zu erzählen. Auch darüber, wie sich nach 13 Jahren Gemeindedienst in Borna (bei Leipzig) eine Berufung ins 500 Kilometer entfernte Köln vollzog.
Berufung, die besondere
Als besonders empfinde ich, dass es in unserer Familie eine weitere Berufung gab. Vater und Sohn sind beide Pastoren. Aber zuvor noch ein paar Gedanken zu den beiden Frauen in unserer Familie. Meine Frau hat mich kennen- und lieben gelernt, als schon klar war, dass ich Pastor werden würde. Sie hat sich für mich entscheiden und ist den Weg bewusst mitgegangen. Ich konnte meiner Berufung nur durch ihr Verständnis, ihren Einsatz, ihre Liebe zu Jesus und zur Gemeinde folgen. Unsere Kinder wurden in den Pastorenhaushalt hineingeboren. Da gab es keine „freie“ Entscheidung. Der Umzug nach Köln war für sie nicht Berufung, sondern schmerzlicher Einschnitt, „nur weil Papa Pastor war“. Sie konnten es verarbeiten und auch unsere Tochter hat später Theologie für ihr Lehramt studiert. Das hat mich gefreut. Nicht nur Pastoren erleben Berufung, auch Lehrerin ist mehr denn je eine Berufung.
Als unser Sohn andeutete, er tendiere zum Pastorendienst, habe ich das als Idee registriert. Es freute mich, als es sich zunehmend bestätigte und Hand und Fuß zu haben schien. Mir war wichtig, dass er die Entscheidung im Zivildienst getroffen hat, im Abstand von zu Hause, mit Menschen an der Seite, die ihn gut beurteilen und beraten konnten. Für mich als Vater und Pastor ging es eher darum, loszulassen. Den Pastorendienst kann man nicht vererben. Jede Generation muss ihre Berufung selbst empfangen – nicht nur, weil Papa Pastor ist, sondern eher trotzdem. Dankbar bin ich, dass beide Kinder ihre Berufung gefunden haben.
Berufung, die ungewöhnliche
Ursprünglich dachte ich, dass meinem Weg von Ost nach West nach einiger Zeit wieder eine Berufung von West nach Ost folgt. Es kam anders: Die Berufung von West nach Ost erhielt unser Sohn. Er kam unmittelbar in unsere Heimat zurück, in die Verwandtschaft, die er vorher nie so nah erlebt hatte. Er hat in seiner Gemeinde mit den Kindern zu tun, deren Eltern mit meiner Frau und mir auf Jugendfreizeiten waren, mit denen uns viele Erinnerungen verbinden. Er hat Menschen beerdigt, die für uns Eltern von Bedeutung waren. Umgekehrt kennt unser Sohn die Kölner Verhältnisse gut, die Menschen in unserer Umgebung. Es ist eine ungewöhnliche Konstellation, dass wir als Kollegen immer auch über Ideen, Projekte und fachliche Fragen sprechen können. Das ist für mich eine Bereicherung und ein Geschenk.
Berufung, die nächste?
Wenn ich nun ab und zu an den „Ruhestand“ denke, dann habe ich nicht das Gefühl, dass damit Berufung in meinem Leben abgehakt ist. Ein großer Abschnitt wird enden. Berufung geht weiter. Ich will offen sein für das, was kommt. So offen wie ganz am Anfang.
Florian Höring:
Als Jesus mein Herz verändert hat
Genau wie der Papa?!
Mein erstes Erlebnis mit dem Thema „Berufung“ hatte ich als kleiner Junge. An einem Sonntag stand ich neben meinem Vater, als er die Leute nach dem Gottesdienst verabschiedete. Da beugte sich ein älteres Mütterchen zu mir, kniff mir in die Wange und sagte mehr zu ihm als zu mir: „Na, der Kleine wird bestimmt auch mal Pastor – genau wie der Papa!“ Ich schüttelte damals nur kräftig den Kopf.
Abgesehen davon bekam ich zu Hause früh mit, dass Pastor-sein etwas mit Berufung von Gott zu tun hat. Man sucht sich diesen Beruf nicht selber aus. Meinen Eltern habe ich das unausgesprochen immer abgespürt.
Pastor? Nein, danke!
Als Kind brachte mir die Berufung meiner Eltern dicke Nachteile ein: „Immer“ musste ich brav sein; sonntags wurde ich richtig „rausgeputzt“. Noch schwerer wog ein Gefühl der Unsicherheit, wenn wir im Urlaub waren. Zweimal mussten wir ungeplant abreisen, weil zuhause eine Beerdigung wartete.
Am schwersten war für mich aber unser Umzug von einer Kleinstadt im Osten in eine Millionenstadt im Westen, inklusive massivem Kulturschock und Verlust aller Freundschaften. Natürlich erleben das auch viele andere Kinder, aber bei denen heißt es nicht „Berufung“. Mir leuchtete mit elf nicht ein, warum Gott wollen sollte, dass ich umziehe?
Leben für Jesus: Auf jeden Fall!
In unseren Gemeinden hatte ich eine Reihe echter Vorbilder im Glauben erlebt und spätestens mit 16 habe ich Jesus ernsthaft mein weiteres Leben anvertraut. Ein tiefes Grundvertrauen war gewachsen: Er hat gute Pläne für mich und weiß am allerbesten, wo der richtige Platz für mich ist. Dazu kam: Den einen Traumberuf hatte ich nicht. Aber egal was – in meiner Gemeinde für Jesus mitarbeiten, gehörte auf jeden Fall dazu.
Gottes Ruf gehört
Eigentlich müsste ich darüber ein Buch schreiben; so viele Situationen und Begegnungen waren wichtig! Richtig „erwischt“ hat’s mich in meiner Zivi-Zeit am Dünenhof in Cuxhaven.
In dieser weichenstellenden Phase zwischen Schule und Studium war im Rückblick besonders wichtig, dass ich tatsächlich auf Gott gehört und meinen geliebten PC bewusst zuhause gelassen hatte. Das fiel mir damals megaschwer, aber sonst hätte ich dieses Jahr nicht so genutzt, um mir Zeit für Gott zu nehmen. Immer wieder habe ich Gott gefragt: „Wo soll es danach hingehen?“ Lange blieben die Antworten furchtbar unkonkret: „Dasmusst du jetzt noch nicht wissen, wichtig ist erstmal, dass ich an dir arbeite." Für mich sehr unbefriedigend, aber Geduld und Vertrauen lernt man nur im Ernstfall.
Im Herbst 2003 konnte ich an einem Seminar „Gottes Stimme hören“ teilnehmen. Jesus hat mir hier sehr eindrücklich gezeigt, das ich zwar bereit war, alles für ihn zu machen ... außer einem: Gemeindepastor in einer „stinknormalen“ Gemeinde irgendwo in Deutschland. Unterbewusst wollte ich lieber etwas „Cooles“ für Gott machen als wirklich das, was Er mit mir vorhatte. In diesem Moment hat Jesus mein Herz verändert. Auf einmal wuchs in mir der Wunsch, genau das zu werden: Pastor in einer ganz normalen Gemeinde irgendwo in Deutschland.
In den nächsten Wochen klärte sich alles Weitere ziemlich schnell: Gespräche mit meinen Eltern und Freunden, vor allem ein langes und intensives Treffen mit meinem damaligen Jugendpastor. Er konnte mich gut einschätzen und auch viele praktische Fragen beantworten, weil er selber erst wenige Jahre vorher einen ähnlichen Weg gegangen war.
Ich kam aus einer Freien evangelischen Gemeinde – aber sollte ich „nur“ deswegen auch dort bleiben? Er machte mir bewusst, dass Gott mich nicht zufällig durch mein Gemeindeumfeld geprägt hat. Das war zunächst eine Vernunftentscheidung: Ich kann Gott dort am besten dienen, wo ich mich auskenne und (positiv) geprägt bin.
Danach stand für mich fest: Ich studiere Theologie im Bund FeG und weiß grob, was danach kommt. Am nächsten Tag lautete die Losung: „Darum macht eure Berufung und Erwählung fest, dann werdet ihr nicht straucheln“ (2. Petrus 1,10).
Nach einer Probewoche an der Theologischen Hochschule Ewersbach hat Gott mir das bestätigt. Für sich genommen waren es jeweils nur kleine Puzzlestücke; zusammen verdichtete sich für mich alles zu einem großen Ganzen.
Das Ziel war klar. Auf dem Weg dahin blieben aber noch Fragen: Kann ich überhaupt predigen, nicht nur einmal, sondern regelmäßig? Wie ist es, eine Beerdigung zu halten? Auch ein Gabentest hilft da nur bedingt. Meine Erfahrung: Gott begabt die Berufenen.
Berufung bleibt umkämpft
Was mir damals noch nicht klar war: Auch Christen können fies sein. Als Pastor hat man öfter mit Menschen zu tun, die sehr genaue Vorstellungen haben, wie man diesen Beruf auszufüllen habe – und wehe, wenn das nicht genau so passiert! Sachliche Kritik ist dabei nicht nur okay, sondern wichtig. Ich habe mehr aus Fehlern als aus Erfolgen gelernt. Aber hier und da wurde meine Eignung für den Beruf nicht nur hinterfragt, sondern von einigen wenigen regelrecht abgesprochen. Solche „Anfragen“ kratzen natürlich.
Aber: Wenn ich damit zu Jesus gehe, erlebe ich ihn immer wieder als Ermutiger und Bestätiger. Gerade Josua 1,9 „verfolgt“ mich über die Jahre.
Persönlich ist mir die Liebe für die Menschen, mit denen ich arbeite, die wichtigste Voraussetzung, um Gemeinde zu bauen. Wir predigen ja nicht nur mit Worten. Diese Art von Liebe hatte ich vor meiner Berufung nicht. Ich habe Jesus gesagt, dass er sie mir jeden Tag neu schenken muss: Ihm mein Herz immer neu hinzuhalten, es wieder weich machen zu lassen, ist unerlässlich für mich. Und ich muss sagen: Langsam wird mir klar, Jesus hat wirklich eine Menge Liebe auf Lager!
Zu den Autoren
Michael und Florian Höring, Vater und Sohn, beide Pastoren, beide im Bund Freier evangelischer Gemeinden, der eine im Westen Deutschlands (Köln), der andere im Osten (Hermsdorf).
Wie beantworten sie die Frage ihrer Berufung? Was eint sie? Was unterscheidet sie? – Die beiden Hörings haben sich für EiNS den persönlichen Fragen gestellt.
Der Vater- & Sohn-Fragebogen
Zur Person: Was man über mich wissen muss
Michael Höring, geboren 1957 in Gera/Thüringen. Pastor in der Freien evangelischen Gemeinde im Kölner Norden; vorher Borna (bei Leipzig) und Köln-Lindenthal. Eng verbunden mit der Allianzkonferenz in Bad Blankenburg (Vorsitzender des Konferenzausschusses).
Florian Höring, Jahrgang 83, verheiratet mit einer Hamburgerin. 3 Jahre Jugendpastor im Sauerland, seit 2012 quasi wieder in der alten Heimat. Ich liebe Kino, Filme, gute Burger und Nachtspaziergänge.
„Ganz der Vater“, „ganz der Sohn“ – darin ähneln wir uns
Wir treiben beide gerne Sport und hören gerne Musik – vermutlich aber sehr unterschiedliche. Früher haben wir gemeinsam Fußball gespielt; jetzt bin ich mehr der Radfahrer. Gemeinsam haben wir sicher auch: Wir haben Frauen geheiratet, die mit uns durch Dick und Dünn gehen.
Unsere Stimme klingt ähnlich. Früher wurde ich oft am Telefon für meinen Vater gehalten und musste die Leute bremsen, wenn sie gleich loslegten, was sie dem „Michael“ alles erzählen wollten … Wir sind auch beide technikbegeistert. Und uns verbindet eine gesunde Portion Humor!
„Typisch Vater“, „typisch Sohn“ – in diesen Bereichen ticken wir völlig unterschiedlich
In der Predigtvorbereitung: Meine Predigt muss samstags 12 Uhr spätestens fertig sein. Das schaffe ich meist auch. Er hat die kreativeren Ideen. Ich treffe schneller Entscheidungen, er braucht immer noch ein paar weitere Gedankengänge. Das würde mir allerdings auch manchmal guttun.
Fahrrad fahre ich seit einem Unfall mit 15 Jahren nicht mehr viel. Und er kann viel griffiger formulieren.
In diesem Punkt, einer Entscheidung war/ist mir mein Vater/ mein Sohn ein wichtiges Vorbild
Ich sehe und schätze an meinem Sohn, dass ihm zwischenmenschliche Beziehungspflege wichtig ist. Er möchte den Menschen nahe sein. Seine Wohnung im 8. Stock eines Plattenbaus zeigt: Er nimmt mitten im normalen Leben seinen Platz ein. Das finde ich vorbildlich.
Wir wohnen übrigens im 7. Stock, Papa! Du solltest öfter mal vorbei kommen … Mein Vater ist (sonst aber) ein guter Zuhörer und Ratgeber. Ich rufe ihn oft an, wenn ich eine Frage habe. Ich beneide ihn dafür, dass er in vielen Situationen ruhig und gelassen bleibt, in denen ich mich aufregen würde. Mal gucken, was mit dem Alter noch kommt.
Das werde ich bei meinem Sohn/meinem Vater nie begreifen …
Begreifen kann ich es schon, aber es hat mich sehr überrascht, dass sich die jungen Leute einen Schrebergarten zugelegt haben …
Wenn er Auto fährt, denke ich immer: der arme zweite Gang. Bitte hochschalten!