© Fotos: Ev. Allianzhaus
"Sie werden sich wundern, von mir Post zu bekommen"
Reinhard Holmer über seine Berufung ins Allianzhaus
18 Jahre lang war Reinhard Holmer Direktor im Evangelischen Allianzhaus in Bad Blankenburg. Seine Berufung dorthin war nicht alltäglich. Hier erzählt er, warum: Berufung ist immer eine spannende Sache. Wie oft habe ich über biblische Berufungsgeschichten gepredigt: Abraham, Samuel, David, Jesaja, Jesus oder Paulus – alles wunderbare Geschichten!
Dazu gab es tolle Berufungsgeschichten in der Kirchengeschichte: Augustinus, Luther, Hudson Taylor oder Friedrich von Bodelschwingh. Auch diese eignen sich sehr gut für Jungschar und Jugendfreizeiten. Aber besonders spannend wird es, wenn Berufung uns selbst betrifft. Und genau das passierte meiner Frau und mir, im Januar 1993.
Wir waren fast zehn Jahre in einer Gemeinde in Mecklenburg als Pastorenfamilie im Dienst. Mecklenburg war für mich immer Heimat – und es war schon im Theologiestudium ganz klar, dass es nach Mecklenburg in eine Pfarrstelle gehen würde. Mit den Jahren war es eine sehr schöne, lebendige Kirchengemeinde geworden, in der wir ganz zu Hause waren. Wir hatten relativ viele Kinder in der Christenlehre (kirchlicher Unterricht), einen guten Posaunenchor, gestalteten mit unseren Jugendlichen Sommerfreizeiten, hatten jedes Jahr acht Bibelwochen und ich war auch viel überregional in Mecklenburg unterwegs.
Eines Abends erzählte mir meine Frau von einem längeren Telefonat, das sie am Nachmittag mit einer Kirchenältesten aus einer Stadt in Ostmecklenburg geführt hatte. Diese hatte sie in dem Gespräch gefragt, ob wir bereit wären, in jene Stadt zu wechseln. Sie hatten dort eine gute missionarische Gemeindearbeit aufgebaut und brauchten einen Pastor. Ich habe mir das nicht lange angehört, sondern sagte spontan und überzeugt: „Das ist nichts für mich!“ Meine Frau war überrascht und fragte zurück: „Wieso kannst du das so einfach sagen. Vielleicht will uns ja Gott dorthin haben? Und wenn du das nicht willst, was würdest du denn gern mal machen?“
Wir sprachen ein paar Möglichkeiten durch – und dann kam am Schluss die Frage von meiner Frau: „Oder wäre Bad Blankenburg was für dich?“ Wir hatten nämlich gelesen, dass der bisherige Direktor, Bruder Karl-Heinz Mengs, aus gesundheitlichen Gründen ganz plötzlich in den Ruhestand gehen musste. Eigentlich wollte ich jetzt nicht weiter darüber reden, sondern einfach nur meine Ruhe haben – und antwortete darum auf ihre Frage ziemlich knapp: „Ja, das wär’s. Das könnte ich mir vorstellen.“ Ich kannte die Mitarbeiter des Allianzhauses durch die Allianzkonferenzen, bei denen ich seit etwa 15 Jahren regelmäßig mitgearbeitet hatte und hatte mich dort immer wohl gefühlt. Da antwortete meine Frau etwas spitz: „Dass aber auch niemand auf dich kommt, ist doch wirklich schade!“ Mit diesem Satz war die Sache für uns beide erledigt.
Gottes starke Anfrage
Was wir nicht wussten: An dem Abend war bereits ein Brief von Jürgen Stabe, dem Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz, an uns unterwegs. Er erreichte uns anderthalb Tage später. Dort schrieb er sinngemäß folgende Sätze:
Lieber Bruder Holmer, Sie werden sich wundern, von mir Post zu bekommen. Ich schreibe im Auftrag des Geschäftsführenden Vorstandes. Wir möchten Sie zum Direktor des Evangelischen Allianzhauses in Bad Blankenburg berufen. Und dann wörtlich: „Dabei muss ich Ihnen zuerst sagen, dass mir Ihr Name sehr bald in den Sinn kam und nach viel Gebet immer gewisser geworden ist. Deshalb bitte ich Sie ganz dringend, unseren Ruf vor Gott zu prüfen und Gründe, die dagegen sprechen könnten, einmal zurückzustellen! Bitte geben Sie uns möglichst bald eine Nachricht.“ Dann folgten ein Gruß und die Unterschrift.
Ich kam am frühen Nachmittag von einem Pfarrkonvent zurück. Meine Frau hatte sich hingelegt und mir die Post ungeöffnet auf den Mittagstisch gelegt. Als ich diesen Brief mit der Vorgeschichte gelesen hatte, war mir überhaupt nicht mehr nach: „Ja, das wär’s“ zumute. Ich schaute zu unserer sehr schönen romanischen Dorfkirche hinüber und dachte spontan: Wer weiß, wie lange uns dieser Blick noch vergönnt ist. Denn das war mir sofort klar: Das ist eine ziemlich starke Anfrage Gottes an uns.
Ich bin zu meiner Frau gegangen, habe ihr den Brief vorgelesen und gesagt: „Das hast du nun davon.“ Mit einem Mal wurde mir bewusst, was uns hier in den letzten zehn Jahren geschenkt worden war und was wir alles aufgeben würden. Und dann nach Thüringen! Bis auf das Allianzhaus in Bad Blankenburg verband mich nichts mit diesem – zugegeben auch schönen – Land in Deutschland. Was sollte ich Mecklenburger da zwischen den Bergen? Aber an einer solchen Anfrage konnten wir nicht einfach vorbei gehen. Das mussten wir sehr ernsthaft prüfen. Für uns war immer klar: Wir wollen uns unseren Platz nicht selber suchen und wollen einem wirklichen Ruf Gottes unter allen Umständen folgen. Aber woran erkennt man den Ruf Gottes? Kann es nicht auch sein, dass da nur Menschen eine Lücke schließen wollen?
Natürlich haben wir das in unser Gebet genommen und ich habe das Gespräch mit einen mir wichtigen Menschen gesucht. Ich habe dann nur für mich selbst drei Bedingungen benannt, an denen ich abklären wollte, ob das wirklich Gottes Ruf sein könnte. Und: Eine Bedingung nach der anderen fiel in sich zusammen und war bereits erfüllt, ehe ich sie ansprechen musste. Auch die Landeskirche gab ziemlich problemlos ihr grünes Licht für eine dienstliche Beurlaubung für die nächsten zehn Jahre.
Merkmale echter Berufung
Eine solche Berufung, wie wir sie damals erlebt haben, ist heute selten geworden. Wir haben heute meist andere Wege und halten sie auch in frommen Kreisen kaum noch für möglich, weil es auf diesem Weg sicher auch manche Verirrungen gegeben hat. Aber mir sind an der Geschichte von damals einige Merkmale einer echten Berufung deutlich geworden und ich meine, dass wir – mit aller gebotenen Vorsicht – doch auch wieder Mut zu solchen Wegen haben sollten. Was war das Besondere an diesem Verfahren durch Jürgen Stabe?
1. Er kannte seine Leute und hatte schon lange nach jungen Mitarbeitern Ausschau gehalten, die er in der entsprechenden Situation ansprechen konnte. Ich war schon als Student bei der Allianzkonferenz. Dies habe ich auch als Pastor fortgesetzt und die Brüder haben uns ganz normal als einfache Konferenzhelfer eingesetzt, die einfach nur mitarbeiten. Dabei hat Jürgen Stabe uns beobachtet.
2. Jürgen Stabe hat die Berufung im Gebet vorbereitet. Er schrieb: „Dabei muss ich Ihnen zuerst sagen, dass mir Ihr Name sehr bald in den Sinn kam und nach viel Gebet immer gewisser geworden ist.“ Hier wird die deutliche Abhängigkeit von Gott in einem solchen Handeln sichtbar.
3. Er hat einen klaren Ruf ausgesprochen. Er fragte nicht an, ob wir uns mal bewerben wollten. Sein Votum war sehr deutlich: Wir wollen Sie! Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, mich für dies Amt zu bewerben. Dafür hatte ich viel zu viel Respekt vor dieser Aufgabe.
4. Er hat unsere Bedenken, die natürlich von unserer bisherigen Erfahrung geprägt waren, in einen viel größeren Zusammenhang gestellt. Er sagte mir im Gespräch auch: „Für ihre jetzige Gemeinde zu sorgen, ist die Sache eines Höheren!“
In allen Schwierigkeiten und Anfechtungen in den dann folgenden 18 Jahren im Evangelischen Allianzhaus ist uns nie in den Sinn gekommen, an dem Ruf Gottes an uns und an der damit verbundenen Platzanweisung zu zweifeln. Und Thüringen ist dann auch einem eingefleischten Mecklenburger wie mir für eine längere Zeit zu einem echten Zuhause geworden.
Zum Autor
Reinhard Holmer leitet heute das Diakonissen-Mutterhaus Neuvandsburg in Elbingerode/Harz.