DIE BERUFUNG ZUR LEITUNG LEBEN

Für Frauen in Leitungs-Verantwortung

Von Elke Werner

Es ist in unserem Land eine Selbstverständlichkeit: Eine Frau kann Bundeskanzlerin sein. Heißt das automatisch, dass wir als Christen in Deutschland für Frauen in Leitung in Gesellschaft und christlicher Gemeinde offen sind? In Berufswelt und Politik sehen wir es als richtig an, dass Männer und Frauen in gleicher Weise die Möglichkeit haben, leitende Positionen einzunehmen. Doch schon hier stoßen wir auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Wir sehen nur sehr wenige Frauen an der Spitze von Firmen und Organisationen. Ganz zu schweigen von der mühsamen und oft verletzenden Auseinandersetzung in christlichen Gemeinden, ob Frauen dort leitende Positionen einnehmen dürfen. In meiner „Lausanner“ Funktion lerne ich viele Kulturen und Gemeinden kennen, in denen Frauen gar nicht die Möglichkeit erhalten, ihre Leiterschaftsgaben auszuleben. Sie sind in Familie, Berufs- und Gemeindeleben auf „dienende Aufgaben“ beschränkt, und setzen um, was Männer entschieden haben. Wenn wir Leitung biblisch verstehen wollen, müssen wir uns Jesus ansehen. Was hat er über Leiterschaft gelehrt? Jesus hebt eine „dienende Leiterschaft“ hervor (Matthäus 20,25–28, Lutherbibel 2017). Wenn wir Leitung so leben wie Jesus, gibt es keine Machtpositionen, keine Unterdrückung, keinen Konkurrenzkampf.

Schöpfungsauftrag

Es ist ein ausdrücklicher gemeinsamer Auftrag zur Übernahme von Verantwortung, den Gott bei der Schöpfung von Mann und Frau gegeben hat, zu seinem Eben-Bild „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet ...“ (Genesis 1,28, Lutherbibel 2017). Hier wird klar, dass Gott beide in gleicher Weise beauftragt und für diese Aufgabe segnet. Erst nach dem Sündenfall kommt die Machtfrage ins Spiel (1. Mose 3,16, Elberfelder Bibel). Es ist eine Konsequenz der Sünde, dass Männer über Frauen herrschen. Im Alten Testament sehen wir immer wieder, dass Gott Frauen in Leitungspositionen berief: Richterinnen und Prophetinnen wie Deborah (Richter 4,4, Elberfelder Bibel), oder Hulda (2. Könige 22,14, Elberfelder Bibel) oder Königinnen wie Esther (Esther 2,17) – sie alle zeigen, dass Gott Frauen in Leitungsaufgaben einsetzt. Und es zeigt, dass Frauen im Auftrag Gottes leiten können und sollen.

Jesus und Frauen in Leitung

In seinem Dienst und seiner Lehre sind Frauen in gleicher Weise im Blick und werden von ihm angenommen, gelehrt, gesandt und bevollmächtigt. Als Jesus starb, starb er für die Schuld aller Menschen, Männern und Frauen, und stellte so wieder her, was durch die Sünde zerstört wurde. Im Reich Gottes gilt deshalb folgerichtig: „Hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,28, Lutherbibel 2017). Der Heilige Geist kommt auf Männer und Frauen (Joel 2,29, Apg. 2), die Gaben des Geistes werden nicht nach Geschlecht verteilt. Der Apostel Paulus spricht von Frauen als seinen ebenbürtigen Mitarbeiterinnen (Römer 16,1-3). Die ersten von Paulus gegründeten Gemeinden wurden von Männern und auch Frauen geleitet. Das Wort „Älteste“, presbyteroi – ist der gemeinsame Plural und sollte deshalb als „Älteste und Ältestinnen“ übersetzt werden.

 

Weltmission

Wenn wir in die Geschichte der Kirche und der Weltmission schauen, sehen wir auch Frauen, die ganze Gebiete mit dem Evangelium erreicht haben. So z.B. die entlaufene Sklavin Nino, die im 4. Jahrhundert das Evangelium nach Georgien (Kaukasus) brachte, das dann zur Staatreligion erklärt wurde. Da die Geschichtsschreiber und Biografen eher die Taten der Männer festgehalten haben, kennen wir nur einen Bruchteil der Frauen namentlich, die als Leiterinnen in der Weltmission aktiv waren. Ein Beispiel unter mehreren tausend ist Lillian Hunt Trasher (1887 bis 1961), die in Assiut in Ägypten ein Waisenhaus gründete und leitete, in dem bis zu 1.200 Kinder lebten und das bis heute besteht.

Leitung und Macht

In hierarchischen Organisationen wird Leitung oft an eine bestimmte Position gekoppelt. Nicht alle Leiterinnen nehmen in ihrem Leben eine solche ein. Es scheint immer noch so zu sein, dass Männer machtvollere Positionen unter sich aufteilen. In manchen Organisationen oder Firmen gibt es Frauen, die keine offizielle Leitungsposition haben, aber dennoch leiten: durch ihr Wesen, ihr Wissen oder ihre Glaubwürdigkeit.

Manchmal entsteht das Problem, dass ein Mann offiziell die „Position der Leitung“ hat, aber nicht die persönliche oder geistliche Autorität besitzt, diese zu füllen. Dann kann es passieren, dass Mitarbeiter nicht auf den Positionsträger hören, sondern auf die Person, die keine Machtposition innehat, aber leiten kann. Leitung ist nicht allein durch ein Amt definiert. Leitung hat mit Begabung und Persönlichkeit zu tun – ob Mann oder Frau.

Frauen leiten anders. Aber nicht nur, weil sie Frauen sind. Ihr Leitungsstil hat viel mit der Kultur, in der sie leben und mit ihrem persönlichen Charakter zu tun. Frauen in Leitung neigen eher dazu, sich selbst zurückzunehmen und zu versuchen, alle Personen bei Entscheidungen zu berücksichtigen und einen größtmöglichen Konsens zu erreichen.

Braucht es Frauen in Leitung?

Ja, denn nur in der Ergänzung von Mann und Frau können wir unserer schöpfungsgemäßen Bestimmung nachkommen. So hat Gott uns geschaffen. Wir sollten in erster Linie nicht auf Positionen schauen, sondern auf die Gaben, die Gott uns gegeben hat. Am besten geht es der Gemeinde, wenn die Gaben des Heiligen Geistes eingesetzt werden, wie Gott sie nutzen will. Es kann durchaus sein, dass Männer die Gabe der Gastfreundschaft haben und Frauen die Gabe der Leitung. Bei meinen Vorträgen und Begegnungen an vielen Orten der Welt entdecke ich, dass viele Frauen Leitungsaufgaben wahrnehmen, wenn auch oft ohne die entsprechende Position einzunehmen. Aufgrund des biblischen Zeugnisses, dem Beispiel der Geschichte von Kirche und Mission, und aufgrund des hier dargelegten Gesamtbildes und meiner eigenen Erfahrung bin ich überzeugt: Frauen sollten nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der christlichen Gemeinde ihre Berufung zur Leitung ausleben – zur Ehre Gottes und zur Förderung seines Reiches.

Zur Autorin

Elke Werner ist Verantwortliche für die Frauenarbeit der Lausanner Bewegung International.