Das ist gerade der Witz an der Meinungsfreiheit

Rechtsanwalt Felix Böllmann über die Broschüre „Rede frei“

Herr Böllmann, die Broschüre „Rede frei!“ ist im vergangenen Jahr als gemeinsames Projekt der Evangelischen Allianz, von Christ & Jurist und ADF International erschienen. Wer hat den Impuls dazu gegeben?

Es gab ein Vorbild der Evangelischen Allianz Großbritannien, die Broschüre „Speak Up“; in Frankreich gab es eine ähnliche Schrift. Mitglieder des Vorstands von Christ & Jurist hatten Kontakt mit den Engländern und meinten: So etwas müssten wir auch in Deutschland haben! Das war der entscheidende Impuls. Wir haben dann die Evangelische Allianz gefragt, ob sie das in ihrer Publikationsreihe veröffentlichen wollte – und sind auf offene Ohren gestoßen. Auch ADF International hatte Interesse – und so war schnell klar, dass wir das zusammen machen.

Vor welchem Hintergrund ist denn die Bro schüre entstanden?

Wir hören immer wieder, man dürfe dieses oder jenes nicht mehr sagen; oder würde in der Öffentlichkeit für seinen Glauben kritisiert. Hier wollten wir Klarheit schaffen für Christen: Wie ist die Rechtslage? In Deutschland genießen Meinungs- und Glaubensfreiheit einen starken rechtlichen Schutz. Uns ging es darum, positiv zu zeigen: Ihr Christen habt alles Recht, mit eurem Glauben nicht hinterm Berg zu halten, die gute Nachricht zu verbreiten. Die Broschüre will dafür ein Praxis- Leitfaden sein.

Warum braucht es diese Broschüre – heute?

Die Meinungsfreiheit gerät verschiedentlich ins Kreuzfeuer. In Deutschland sind private große Internetkonzerne angehalten, inhaltliche Zensur zu üben. Das erregt unsere Besorgnis, denn eine Zensur gibt es nach dem Grundgesetz nicht. Aber plötzlich weht da ein kalter Wind, und der Einzelne fängt an, sich selbst zu zensieren. Das ist in einer freiheitlichen Demokratie kontraproduktiv. Sie lebt vom Ringen um Wahrheit, dem freien Austausch von Ideen. Wir haben in der Broschüre versucht, aus dem Blickwinkel von Christen, die ihren Glauben bezeugen wollen, eine Basis zu liefern, dass sie das angstfrei und besten Wissens und Gewissens tun und leben können.

Ist denn das freie Bekenntnis des Glaubens eingeschränkt? Bläst auch in westlichen Ländern ein rauerer Wind?

Natürlich geht es uns in Deutschland sehr gut. Man kann als Christ frei leben und muss keine Verfolgung befürchten – anders als in anderen Ländern, wo Menschen mit dem Leben bezahlen, wenn sie dieses Bekenntnis leben. Davon sind wir normalerweise meilenweit entfernt. Auf der anderen Seite fängt es mit kleinen Dingen an. Schnell können Situationen entstehen, wo Leute sich persönlich eingeschränkt fühlen. Die Broschüre untersucht darum verschiedene Umfelder: Wie ist es am Arbeitsplatz, in der Schule? In der Öffentlichkeit? Um zu gucken: Gibt es rechtliche Grenzen? Wo verlaufen die? Was ist empfehlenswert? Die Broschüre soll Anhaltspunkte für gute Kommunikation liefern: Was ist angebracht zu sagen? Womit konfrontiere ich andere – oder vielleicht auch nicht?

Und gibt es bedenkliche Entwicklungen, ist aus Ihrer Sicht irgendwo „Gefahr im Verzug“?

Das sind subtile Sachen. Wir müssen uns bewusst sein, dass das bis heute in Mitteleuropa kulturprägende Christentum nicht mehr als allgemeinverständlich vorausgesetzt werden kann. Glaubens- und Religionsfreiheit bedeutet, positiv wie negativ: Ich darf etwas glauben. Ich darf aber auch nichts glauben. In diesem Umfeld kommen wir mit einer Botschaft, die auch missionarisch nach außen getragen werden möchte. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Man kann auf Interesse, aber auch auf Ablehnung stoßen.

Im staatlich regulierten Bereich wird neuerdings oft das Phänomen der sogenannten  „Hassrede“ thematisiert. Dabei kann eine Situation eintreten, in der sich ein Mensch mit einem anderen Weltbild plötzlich angegriffen fühlt, durch eine Aussage, ein in seinen Augen provozierendes Bibelzitat – auch wenn es überhaupt nicht so gemeint ist.

Gerade aktuell ist die Frage der Therapiefreiheit im Bereich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. Der vorliegende Gesetzentwurf könnte in der Praxis auch die Meinungs- und Glaubensfreiheit beschränken, indem man Vorgaben macht, was man anderen sagen darf und was nicht. Da ist man schnell in dem Bereich, in dem Gefahr besteht, dass schon das persönliche Zeugnis tatsächlich kriminalisiert werden könnte. 

Damit sind wir bei der Frage: Was kann die Broschüre leisten? Wenn ich sie lese – was fange ich am besten damit an?

Sie ist fast lexikonartig. Nicht alles ist für jeden relevant. Die Broschüre wendet sich an juristische Laien. Die Gesetze werden verständlich dargestellt und heruntergebrochen auf die Alltagsebene: auf den Arbeitsplatz, die Sicht eines Chefs oder Angestellten. Wo sind die Rechte, wo die Grenzen? Wir wollen mit Halbwissen und Vorurteilen in diesem Bereich aufräumen. Denn oft sagen Leute irrtümlich: Du bekommst rechtliche Schwierigkeiten, wenn du das so sagst! Wir sagen, wie es rechtlich wirklich ist – und erklären dann: Im konkreten Bereich bewirkt es dieses oder jenes. 

Wenn ich nun meine Meinung äußern möchte in Sachen Glauben: Wo sehen Sie besonders sensible Bereiche der Meinungsäußerung?

Gute Frage. Ich würde sagen, es gibt keine sensiblen Bereiche der Meinungsäußerung. Das ist ja gerade der Witz an der Meinungsfreiheit, dass man seine Meinung frei äußern darf. Die 
strafrechtlichen Grenzen verlaufen dort, wo es objektiv nur um die öffentliche Herabwürdigung einer Person geht. Das wäre dann eine Beleidigung. Und das sollten wir als Christen ohnehin nicht tun. Für Meinungsäußerungen gilt hingegen, bildlich gesprochen: Ich darf jedem alles sagen, aber ich darf ihn dabei nicht festhalten. Er muss weglaufen dürfen. Dann gibt‘s im politischen Bereich Auslöser für Debatten: Besonders kritisch ist alles mit einer konservativ-christlichen Weltsicht. Leute werden schnell aufmerksam, wenn man z.B. für ein bestimmtes Familienbild eintritt. Aber auch hier habe ich das Recht, meine Meinung zu sagen, zu bekennen und zu leben und muss mich nicht irgendwie erklären.

Also schwierig wird es dann, wenn eine Glaubensüberzeugung mit gesellschaftlichen Fragen zusammenkommt?

Ja, das wird auch häufig der Fall sein. Die Glaubensfreiheit ermöglicht es mir, meinem Glauben und meinem Gewissen entsprechend zu leben. Das eckt zwangsläufig an, wenn ich in einem pluralistischen System mit Leuten unterwegs bin, die ein anderes Weltbild pflegen. Juristisch sagen wir: Ihr habt das Recht – fühlt euch frei zu bekennen! Aber das in Liebe.

Kommt mit dem Thema Meinungs- und Glaubensfreiheit eine vermehrte Aufgabe auf Christen und Gemeinden zu?

Auf jeden Fall. Man muss sich nur mal im Internet unter einem beliebigen Beitrag in einem Forum die Kommentare angucken: Die ersten zwei sind in der Regel noch sachlich, dann entgleist das oft schon. Das ist für mich nicht verwunderlich. Der Staat hat sich säkularisiert, möchte keine normativen Vorgaben machen, die Kirchen und der christliche Glaube, die früher kulturprägend waren, geraten in den Hintergrund. Wenn an diese Stelle nichts tritt, was den Leuten hilft, eine inhaltliche Richtschnur zu finden, dann wird zunehmend rechtlicher Regelungsbedarf gesehen. Oft aus dem Wunsch heraus, rechtliche Grenzen zu setzen, die eigentlich schon der Anstand gebietet. Unser Ton und Umgang miteinander sind ganz wichtig, und da können natürlich auch Gemeinden durch ihre Arbeit viel Gutes bewirken.

Angesichts dieser wachsenden Aufgabe: Gibt es Möglichkeiten, sich gegenseitig zu unterstützen, mit einer Stimme zu sprechen und sie öffentlich auch hörbar zu machen?

Es ist immer gut, wenn Christen die Einheit suchen und ihre Kräfte bündeln. Die Evangelische Allianz ist ja gerade eine Möglichkeit, diese Einheit zu suchen. Sie hat einen Politischen Beauftragten in Berlin, der in der Lage ist, eine Position in den politischen Prozess einzubringen. Und ja, wir sollen uns zusammentun. Wir glauben an einen Gott, wollen eine Einheit und Einigkeit. Wenn wir mit einer Stimme sprechen, dann sind wir auch ein starkes Zeugnis für die Welt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview:

Jörg Podworny