Faszination Bibel
Bibel-Liebhaber: Dr. Ulrich Wendel mit „Leib- und Magen-Bibel“und biblischen Hilfsmitteln
Das Buch der Bücher lieben lernen: Wen könnte man besser fragen, wenn es um praktische Erfahrungen, An regungen und erprobte Hilfs mittel geht als den Kollegen zwei Büros weiter? Dr. Ulrich Wendel ist Chefredakteur des Magazins „Faszination Bibel“ und Theolo gischer Lektor im Verlag SCM R. Brockhaus. Ein Gespräch mit ihm versprüht große Lust, mit der Bibel zu leben …
Warum ist die Bibel so besonders, regelrecht faszinierend?
Ich werde die Bibel nie auslesen. Selbst wenn ich sie zehnmal durchgelesen hab, gibt es immer noch Neues zu entdecken. Die Bibel spricht in mein Leben; sie thematisiert mich, meine Lebenssituation. Ich kann die Bibel abklopfen: Was sagt sie zu meinen aktuellen Herausforderungen oder auch zu dem, was mich glücklich macht? Wo ist Gott dort? Ich entdecke das Leben in allen Dimensionen wieder.
Das war der persönliche Teil der Antwort …
Meine weitergehende These ist: Jede Art von Leben, sei es in der westlichen Welt, in einem lateinamerikanischen Land; sei es als Single oder Großfamilie; sei es in unserem Jahrhundert oder 1538 – alle Lebensentwürfe kommen in der Bibel vor. Natürlich in anderen geschichtlichen Zusammenhängen: Andere Christen in anderen Kulturen entdecken andere Dinge. Aber die eigentlichen Kernthemen, das Menschsein ist durchweg vorhanden. Das macht eine große Faszination aus.
Wie liest du die Bibel und hältst die Begeisterung auch über Jahrzehnte frisch?
Als Jugendlicher habe ich nach Bibelleseplänen gelesen. Davon habe ich mich verabschiedet, weil ich nun gern länger bei Texten verweile. Heute lese ich ein biblisches Buch langsam, nehme mir so viel Zeit, wie ich brauche, um zu verstehen. Seit vielen Jahren konzentriere ich mich auch auf das Buch der Psalmen und versuche, betend Bibel zu lesen, jeden Tag einen halben oder ganzen Psalm. Das bereichert mein geistliches Leben. Ich komme in Gottes Gegenwart, kenne das Buch der Psalmen viel besser, gewinne es lieb und kriege einen ganz anderen Bezug dazu.
Dann versuche ich mir einen Blick zu verschaffen für biblische Ausdrucksweisen, prägnante Formulierungen, die es in sich haben. Ein Beispiel: Paulus schreibt vom „Gehorsam des Glaubens“. Bei uns hat das Wort „Gehorsam“ einen negativen Touch, aber in dieser Kombination ist es genial: „Glauben“ ist in der Bibel „Vertrauen“. „Gehorsam des Glaubens“ ist ein Vertrauens-Gehorsam. Das ist wie zwei Brennpunkte einer Ellipse: Wenn ich nur vertraue, aber keine Konsequenz daraus ziehe, bleibt es letztlich nur eine Idee. Umgekehrt ist aber auch Gehorsam ohne Vertrauen schlecht; vielleicht nur ein Buchstabengehorsam, dem ich aus Angst folge … Deshalb habe ich mir angewöhnt, beim Lesen über solche vielsagenden Formulierungen zu stolpern.
Ein Steckenpferd von mir ist auch, das Unbekannte zu entdecken, unbekannte Randfiguren aufzuspüren, die vielleicht nur ein- oder zweimal auftauchen. Aus wenigen Notizen und ohne zu viel hineinzudeuten, lässt sich dann ein Beziehungsgerüst konstruieren. Etwa die Magd des Hauptmanns Naaman: Er ist aussätzig und geht irgendwann zum Propheten Elisa, weil er gehört hat, der könnte ihn gesund machen. Woher hat er das gehört? Von dieser Magd aus Israel, von der wir noch nicht mal den Namen wissen! Sie kommt nie wieder vor, spielt aber eine wichtige Rolle. Es lohnt sich, solch unbekannten Personen nachzugehen!
Auf eine einsame Insel würdest du also in jedem Fall eine Bibel mitnehmen?
Auf jeden Fall! Die Frage ist nur: Welche von den vielen Bibeln, die ich liebe? Wenn ich nur eine mitnehmen dürfte, würde ich die Elberfelder Bibel nehmen. Sie hat ein hervorragendes Verweissystem: Ich kann mich auf dem Papier „durchklicken“ zu einem Thema oder Zusammenhang. Wenn ich den Verweisen nachgehe, fi nde ich alle relevanten Bibeltexte dazu.
Und brauchen Christen tatsächlich mehr als eine Bibel?
Sie brauchen vermutlich nicht so viele wie ich; ich habe in jedem Zimmer eine Bibel liegen ... Aber ich glaube schon, dass ein Christ mehrere Bibeln braucht. Mindestens zwei Übersetzungen sollte man vergleichen können. Es ist auch nicht verkehrt, eine Bibel zu haben mit Zusatzmaterial, an Erklärungen, Hintergründen und einem Verzeichnis von Sacherklärungen.
Ich finde es auch wichtig, eine „Leib- und Magen-Bibel“ zu haben: mit der ich lange gelebt habe, die zerlesen ist, in der ich rumgekritzelt habe und Sachen schnell fi nde. Mit der mich eine Geschichte verbindet: Diesen Abschnitt hab ich zum ersten Mal gelesen. Da bin ich tief berührt worden. Dazu habe ich eine Predigt gehört. Das ist ein Schatz im Leben!
Dann ist es schön, eine Bibel zu haben, die neu ist, in der man überraschend Dingen begegnet, die sonst allzu vertraut sind. Also: Ich brauche mindestens meine vertraute „Homebibel“ und die „Überraschungsbibel“, die mich Dinge neu sehen lässt.
Lässt sich kurz sagen: Welche Bibel ist „passend“ für wen?
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen eher wörtlichen – der Zürcher oder Elberfelder – und kommunikativen Übersetzungen wie der „Gute Nachricht“ oder der „Neues Leben Bibel“. Für einen Einsteiger ist eine kommunikative Übersetzung empfehlenswert. Jemand, der schon Erfahrung hat im Bibellesen, sollte sich auch an eine wörtlichere Übersetzung herantrauen.
Mein persönlicher Favorit ist im Moment die „Neue evangelistische Übersetzung“ (NeÜ) von Karl-Heinz Vanheiden. Er kriegt es sehr gut hin, den Sinn zu bewahren und trotzdem eine gut fassbare Sprache zu haben. Ein großes Qualitätsmerkmal ist die poetische Sprache in den Psalmen, der Sprachrhythmus. Da macht es Spaß, Psalmen zu lesen: Ich habe den Klang im Ohr, die Silben fallen an die richtige Stelle.
Viele Pastoren und Gemeindeleiter sagen ihren Mitgliedern: Ihr seid mit für eure geistliche Entwicklung verantwortlich. Darum: Was können Christen für ihr eigenes Bibel-Studium tun?
Ich finde diese Einsicht sehr wichtig. Das Optimum, um sich selbst einen Bibeltext so „aufzubereiten“, dass man geistlich etwas rausziehen kann, wäre: eine einigermaßen wörtliche Bibel- übersetzung, eine Studienbibel mit Erklärungen zu Hintergründen und ein Bibellexikon, das mehr zu Geschichte, Geografi e, zu Gegenständen oder biblischen Begriffen erklärt. Wer noch weitergehen will, kann sich einen Kommentar besorgen, um Einzelheiten zu erschließen; oder einen Bibelatlas benutzen, um sich biblische Berichte plastischer vorstellen zu können.
Stehen eigentlich das „Sola Scriptura“ und „Solus Christus“ im Widerspruch? Viele Christen sagen ja: „Ich glaube nicht an die Bibel, sondern an Jesus Christus.“
Ich finde den Satz wichtig. Wir glauben nicht an die Bibel, sondern an Christus. Glauben ist eine lebendige Beziehung, Vertrauen. Natürlich kann ich auch der Bibel vertrauen. Aber es ist falsch, den Zugang zum Glauben über die Bibel zu er- öffnen und nicht über Christus. Christus zuallerst ist das Wort Gottes. Er ist die Mitte der Schrift.
Aber wir haben Jesus nur so, wie er uns in der Bibel gezeigt wird. Die Bibel ist unverzichtbar. Man kann Jesus nicht auf eine Formel reduzieren: das „Prinzip der Liebe“ oder „des Reiches Gottes“. Deswegen brauchen wir die Bibel, weil nur sie uns den ganzen Christus nahebringt. Also: Wir glauben nicht an die Bibel, aber wir können nicht an der Bibel vorbei an Christus glauben.
Eine Herausforderung ist das Bibellesen an den „schwierigen“ Stellen. Welche Verstehens hilfen gibt es da?
Ein Faktor ist Zeit: Ich kann mir Zeit lassen, auch mal länger mit einer offenen Fragestellung zu leben. Und dann ist der alte Satz ein effektives Instrument: „Die Bibel ist ihr eigener Ausleger.“ Also: vergleichen! Vieles klärt sich, wenn man entdeckt: Diese sperrige Bibelstelle ist gar nicht das einzige, was die Bibel dazu sagt; sie ist ein Mosaikstein, aber das Mosaik ist viel größer. Das große biblische Panorama ermöglicht häufi g eine bessere Antwort.
Zum Schluss: Hast du eine Lieblings-Bibelstelle – die über Jahre geblieben ist?
Da gibt es ein „Ensemble“ an Stellen. Mir fällt aber sofort Psalm 30,6 ein: „Sein Zorn währt ein Augenblick, aber lebenslang seine Gnade.“ Die hilft mir ungemein, wenn ich frage: Ist der „liebe Gott“ nicht nur mein Wunschdenken? Ist nicht der zornige Gott auch stark in der Bibel? – Ja, beides ist da. Aber in unterschiedlicher Abstufung: Der Zorn ein Augenblick – und lebenslang seine Gnade. Ich muss also mein Gottesbild nicht frisieren, nichts ausblenden. Aber ich darf die Wesenszüge Gottes in ein Verhältnis setzen.
Und wichtig ist für mich das ganze Kapitel Römer 8, wo über Gottes Kraft in meinem Leben gesagt wird, wie sie wirkt. Mit diesem Bibelvers und diesem biblischen Kapitel werde ich wahrscheinlich mein Leben lang unterwegs sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Jörg Podworny
Literaturtipps: Über das Beten mit biblischen Texten
- Ulrich Wendel, „Alltagsbeter“, SCM R. Brockhaus
- Ulrich Wendel (Hg.), „Glaubwürdig aus guten Gründen. Warum wir der Bibel vertrauen können“, SCM R. Brockhaus