© Foto: Kyle Tran, Nicolas Ladino Silva, Diana Vargas / unsplash.com
"Bist du eigentlich sicher, dass du glaubst?"
Warum wir Apologetik brauchen, wenn „die Welt wackelt“
Viele Menschen stellen heute Fragen, sind unsicher hinsichtlich der Zukunft, wollen wissen, was morgen noch gilt, was im Leben trägt – und was christlicher Glaube, aus gutem Grund, beitragen kann zu einer christusgemäßen Zukunft in Gemeinde und Gesellschaft.
Das größte Problem, das ich heute mit meiner Kirche habe, ist, dass sie mir nicht dabei hilft, zu glauben. Nur Menschen, die begnadet sein müssen oder sehr naiv, schaffen es als Erwachsene, weiter ungebrochen am Glauben festzuhalten. (…) Ich wünschte mir, dass man mit den Zweifeln nicht allein gelassen wird. Aber es kommt mir manchmal so vor, als ob das die Frage ist, die Christen heute am meisten verdrängen: ‚Bist du eigentlich sicher, dass du glaubst?‘“ 1
So schreibt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT. Ich kann ihn verstehen. Gegen Zweifel, wenn das Weltgeschehen, die eigenen (Glaubens-)Überzeugungen unsicherer werden, dann hilft nicht Verschweigen oder reine Gefühligkeit („Das kannst du mit dem Verstand nicht durchdringen. Das musst du einfach glauben!“). Sondern es hilft vor allem der ehrliche, gut informierte Blick auf Argumente für den Glauben. Kurz gesagt: die Apologetik.
Eine alte Kunst
Apologetik ist eine alte Kunst mit Wurzeln in der antiken griechischen Philosophie: die rationale Rechtfertigung und Verteidigung (griechisch apologia) des eigenen Standpunkts im Gespräch mit Anfragen und Kritik. Apologetik findet also im Gespräch statt, im gegenseitigen Respekt, ihr Werkzeug sind Argumente. Sie will nicht etwa „überreden“, sondern ehrlich überzeugen, mit nachvollziehbaren Gründen. Das findet sich schon im Neuen Testament (NT): „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft (apologia) fordert über die Hoffnung, die in euch ist“ (1.Petr 3,15). Wer Menschen für Jesus gewinnen will, muss auch ihren Verstand ansprechen. Die wichtigsten Denker der frühen Christenheit waren daher Apologeten, sie suchten das Gespräch mit den Weltanschauungen ihrer Zeit, um zu zeigen: Was wir Christen glauben, ist nicht Aberglaube, nicht hinterwäldlerisch oder gar gefährlich. Sondern es ist gut begründet und nebenbei sogar gesund für die ganze Gesellschaft.
Warum ich trotzdem Christ bin
Genau das braucht es auch heute. Mit dem Unterschied, dass wir inzwischen rund 2.000 Jahre Christentum im Rücken haben. Und das kann auch ein Problem sein, denn diese Geschichte hat Höhen und Tiefen. Mein Vorschlag: Gehen wir damit offen um! An Unis bundesweit halte ich regelmäßig Vorträge vor Studierenden, die sich oft als atheistisch verstehen und eher postmodern „ticken“. Dazu gehört der Eindruck, man habe den christlichen Glauben „hinter sich“: „Kennen wir schon, ist nichts für uns!“ Also spreche ich z.B. über das Thema: „Warum ich trotzdem Christ bin. Vom Glauben und seinen unglaubwürdigen Vertretern“. Ich beginne mit einer Klärung: Keine Überzeugung wird schon dadurch falsch, dass auch jemand anders sie vertritt, der sich aber nicht seiner Überzeugung entsprechend verhält. Sein Verhalten macht vielleicht ihn selbst unglaubwürdig, das sagt aber für sich nichts über den Wert seiner Überzeugung aus.
Das lässt sich auch auf den Glauben an Jesus anwenden. Christen haben sich in der Geschichte oft unglaubwürdig verhalten, und dafür braucht man gar nicht zu den Kreuzzügen zurückzugehen, es reicht der Blick ins 20. Jahrhundert. Natürlich sind auch Differenzierungen angebracht, z.B. war das vermeintlich finstere Mittelalter gar nicht so finster, und neuzeitliche Ideale wie die Menschenrechte sind keine Erfindungen der Moderne, sondern haben selbst jüdisch-christliche Wurzeln.2 Doch das ändert nichts daran, dass Christen oft gescheitert sind. Die Frage ist nur: Sagt schon das etwas über den Kern des Glaubens aus? Ob es Gott gibt, ob Jesus als historische Person greifbar ist, ob z.B. die Auferstehung von Jesus historisch glaubwürdig ist – über solche Fragen kann mir das Verhalten von Christen heute keine Auskunft geben. Hier braucht es andere Überlegungen; dazu gleich mehr.
Macht Glaube selbstgerecht?
Und doch, so frage ich, gibt es vielleicht etwas im Kern des Glaubens, das ungute Einstellungen befördert, das Menschen also dazu bringt, Unrecht zu tun? Gibt es z.B. etwas im Glauben, das selbstgerecht macht? Gerade die Selbstgerechten richten ja oft besonders viel Unheil an – weil sie meinen, sie seien über jede Kritik erhaben. Für manche meiner Gesprächspartner ist hier ein entscheidender Knackpunkt: „Was wird aus mir?“ Was passiert mit mir, wenn ich mich auf diesen Glauben einlasse? Der Glaube wirkt auf sie durchaus anziehend, Jesus fasziniert sie. Sie fragen sich nur: „Und wenn ich Christ werde – werde ich dann Teil eines Clubs, zu dem ich gar nicht gehören wollte?“
Also schaue ich mir den Kern des Glaubens an und frage: Gibt es irgendetwas im Kern des christlichen Glaubens, das selbstgerecht macht? Nein, im Gegenteil. Denn der Kern des Glaubens ist ja gerade: Gottes unverdiente Gnade. Nicht: unsere Vorbildlichkeit. Der Inhalt unseres Glaubens ist Gottes Gnade in Jesus Christus, die ihn bis ans Kreuz bringt. So ernst ist unser Scheitern als Menschen, dass das Kreuz nötig war. Das heißt im Umkehrschluss: Wer sagt „Ich bin Christ“, sagt damit im Grunde auch: „Ich hab’s nötig.“ Ich bin fehlbar, ich brauche Korrektur. Das sollte eigentlich ein Markenzeichen von uns Christen sein.
Apologetik à la Klinsmann
Meine Erfahrung ist: Manchmal braucht es erst diese Klärung, bevor der Kopf frei ist auch für ganz andere Argumente. Wenn Menschen spüren: Glaube macht nicht selbstherrlich, sondern wer glaubt, kann Fehler zugeben – dann sind sie auch bereit, weiter zuzuhören, was denn an Argumenten für den Glauben an Jesus spricht. Und das sind eine ganze Reihe.
Apologeten unterscheiden u.a. zwischen Zwei-Schritt und Ein-Schritt-Apologetik. Erstere ist das klassische Verfahren, bei dem zunächst plausibel gemacht wird, dass es einen Gott gibt, einen Schöpfer der Welt. Im zweiten Schritt werden Argumente für spezifisch christliche Überzeugungen präsentiert.
Davor habe ich Respekt, ich selbst bevorzuge aber meist ein „Ein-Schritt-Verfahren“, bei dem man relativ schnell auf Jesus zu sprechen kommt. Nicht nur, weil ich auch One touch-Fußball à la Jürgen Klinsmann gut finde, bei dem der Ball mit wenigen steilen Pässen schnell in die Spitze gespielt wird … Sondern vor allem, weil im Gespräch oft nur ein Gedanke „gepflanzt“ wer- den kann, der hoffentlich im Gegenüber Wurzeln schlägt. Da möchte ich möglichst rasch auf Wesentliches kommen. Außerdem ist der Gott der Bibel kein abstraktes Konstrukt, das man ohne Blick auf Jesus herleiten könnte: „Definieren Sie ‚Gott’ und nennen Sie zwei Beispiele!“ – diese philosophische Klausuraufgabe funktioniert nicht. Sondern wer Gott ist, er- kennt man daran, was er tut und wie er sich zeigt – unübertrefflich eben in Jesus. Wie können wir überhaupt von Gott sprechen? Deswegen empfehle ich also, im Gespräch möglichst bald auf Jesus zu sprechen zu kommen. Z.B. so: Wenn es tatsächlich einen Gott gibt – also eine Wirklichkeit, die dafür verantwortlich ist, dass es unsere Wirklichkeit gibt, das Weltall, Planet Erde, die Natur, uns Menschen mit unserem Verstand –, dann können wir Menschen von uns aus eigentlich nichts über diesen Gott sagen. Weil wir eben Teil der Wirklichkeit sind, die er geschaffen hat. Wir können eigentlich nur schweigen. Dann wäre ich als Theologe arbeitslos, aber mir würde schon noch etwas einfallen. Es sei denn – so überlege ich weiter – es sei denn: Gott sagt etwas über sich selbst. Gott teilt sich mit. Er spricht aus seiner Wirklichkeit in unsere Wirklichkeit hinein. Dann kann ich etwas über ihn sagen. Genau das macht das Herz unseres Glaubens aus: dass Gott sich mitgeteilt hat, und zwar in erster Linie in einer Person, in Jesus Christus. Deswegen sprechen wir von Jesus, nicht nur weil er uns beeindruckt (das tun andere auch), sondern weil Jesus die verlässliche Grundlage ist, überhaupt mit Gott in Kontakt zu kommen.
Der Anspruch von Jesus
„In Ordnung“, so könnte man entgegnen, „aber warum soll ich nun das glauben? Ist das nun das, was man ‚einfach glaubt’? Oder gibt es auch dafür Argumente?“ Meine Antwort: Weil Jesus genau dies von sich beansprucht, und das auf eine Art und Weise, die glaubwürdig ist. Dafür muss ein Skeptiker nicht etwa das ganze Neue Testament auf einmal „schlucken“. Ich selbst halte es für vollständig glaubwürdig, aber das ist für das folgende Argument nicht nötig. Denn der Anspruch von Jesus, Gott gleich zu sein, kommt in allen Überlieferungsschichten zum Ausdruck; schon da, wo Jesus anderen Menschen die Sündenvergebung zuspricht. Damit beansprucht er, was nach Überzeugung des Alten Testaments nur Gott kann, und genau das haben ihm seine Kritiker auch vorgehalten.3 Das heißt: Entweder es stimmt nicht, was Jesus von sich behauptet. Und er weiß, dass es nicht stimmt. Dann hat er gelogen. Oder es stimmt nicht, und Jesus weiß selbst nicht, dass es nicht stimmt. Dann hat er ein Problem. Oder – es stimmt. Dann stimmt auch alles, was Jesus sonst von sich behauptet. Und die große Frage nach Gott wird zu der sehr konkreten Frage: Kann ich, will ich diesem Jesus vertrauen? Und wenn Jesus auf mich nicht wirkt wie jemand, der andere oder sich selbst furchtbar getäuscht hat – dann liegt es nahe, ihm zu glauben. Das Argument ist ein Klassiker und wird auf C.S. Lewis zurückgeführt (als sogenanntes „Lewis-Trilemma“). Es braucht als begleitende Annahme: Die Texte des NT sind historisch zumindest insoweit verlässlich, dass sie den Anspruch von Jesus vor Augen führen, und dass sie uns ein Urteil über seinen Charakter erläutern. Um das zu begründen, dafür ist die Quellenlage bestens, im Vergleich mit anderen antiken Texten schneiden die Texte des NT historisch sehr gut ab.4 So also kann Apologetik im Gebrauch aussehen. Meine These ist: Wir brauchen mehr davon, denn es gibt gute Grün-de für den Glauben. Und es wäre schade, wenn Skeptiker und Fragende nichts davon erfahren.
1 Die ZEIT vom 27.10.2016.
2 Siehe hierzu Manfred Lütz: „Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums“, Herder 2018. Lütz’ Buch ist die populärwissenschaftliche Kurzfassung eines längeren Werks eines katholischen Fachmanns für Kirchengeschichte.
3 Siehe Mk 2,7.
4 Siehe etwa die Textsammlung auf www.begruendet-glauben.org, z.B. mit Sucheingabe „Neues Testament“.
Zum Autor
Prof. Dr. Matthias Clausen ist Dozent an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg und Referent beim Institut für Glaube und Wissenschaft (IGUW).